Fremde führen für ein Trinkgeld

Lizenz oder Leidenschaft? Profis oder Prekariat? Das Berufsbild der Fremdenführer ist das neue ideologische Schlachtfeld der „Shared Economy“.
Lizenz oder Leidenschaft? Profis oder Prekariat? Das Berufsbild der Fremdenführer ist das neue ideologische Schlachtfeld der „Shared Economy“. (c) Akos Burg
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Nach Hoteliers und Taxlern fühlen sich nun Fremdenführer bedroht: Weltweit boomen „Free Tours“,oft laienhafte Stadtführungen ohne Zahlzwang – vermittelt von Onlineplattformen.

An ihrem Schirm sollt ihr sie erkennen. „Anna loves Vienna“ steht darauf. Unter ihm steht Anna Maria Geisler. Die 32-Jährige wartet vor der Albertina geduldig auf ein Dutzend Touris aus aller Welt, die sich im Internet für ihre abendliche Stadtführung angemeldet haben. Liebt sie Wien wirklich? „Fremdenführer lügen nie!“ Das Augenzwinkern dazu wäre gar nicht nötig. Anna kennt sich aus, und die Leidenschaft für diese Stadt steht der Wahlwienerin aus Bayern ins Gesicht geschrieben. Der Funke springt rasch über, sogar das kleine Mädchen aus Indien hängt an ihren Lippen. „Und am Ende könnt ihr mir zeigen, dass es euch gefallen hat – ihr wisst ja, was ich meine“.

Anna ist an diesem heißen Sommerabend keine gewöhnliche Fremdenführerin. Sie bietet eine „Free Tour“ an, einen Stadtrundgang ohne fixen Tarif, bei dem die Teilnehmer die Arbeit des Führers mit einem Trinkgeld bewerten und belohnen. Niemand ist gezwungen zu zahlen, alles ganz locker und leger. Das Konzept ist nicht neu, es entstand 2004 in Berlin und breitete sich bald auf weitere Städte aus. Es gefällt Rucksacktouristen, jungen Leuten mit wenig Budget, aber auch älteren Reisenden, die sich einer Stadt authentischer nähern wollen als über kommerzielle Profis der Tourismusbranche. Auf einem Spaziergang mit einem Einheimischen, der ihnen neben Historie und Histörchen auch verrät, wo man am Abend nett essen, trinken oder tanzen kann. Oder mit einer Auslandsstudentin, die ihren Landsleuten in der Muttersprache ihre Eindrücke von der Fremde vermittelt.

Lang blieb die Idee eine alternative Nische. Als „disruptiv“ erweist sie sich erst jetzt, weil zwei Internetplattformen die verstreuten Angebote bündeln und so eine standardisierte Übersicht für hunderte Städte liefern. Den Anfang machte 2014 Freetour.com aus Dublin. Seit dem Vorjahr fordert das Start-up Guruwalk aus Valencia den Pionier heraus. Die Konkurrenz befeuert das Wachstum. Aber die traditionellen Führer mit Lizenz und fixen Tarifen bekommen kalte Füße. Ein neues Konfliktfeld der „Sharing Economy“ tut sich auf. Erst Hoteliers gegen Airbnb, dann Taxler gegen Uber, jetzt sind die Fremdenführer dran. Vor allem in Spanien, wo Guruwalk kräftig umrührt, bricht die Debatte voll los.

Kompetent oder motiviert. Die haben ja keine Ahnung, kennen die historischen Fakten nicht und fabulieren, wenn sie nicht weiterwissen – so ereifern sich die Profis. Wir sind viel motivierter und leistungsorientierter, kontern die Rebellen. Denn nur wenn sie ihr Publikum begeistern, dürfen sie auf Belohnung hoffen. Also müssen sie immer ihr Bestes geben. Was ist denn euer Bestes?, höhnen Kritiker: ein gezwungenes Lächeln, triviale Unterhaltung statt seriöser Information! Außerdem entstehe da, wie schon bei Uber-Fahrern und Fahrradboten, ein neues Prekariat ohne soziale Absicherung.

Auch hierzulande? Es wäre nicht Österreich, wenn nicht auch so ein schlichtes Angebot wie Stadtspaziergänge für Touristen dem rigorosen Reglement der Gewerbeordnung unterworfen wäre. Ohne Lizenz drohen bis zu 3600 Euro Strafe und eine Zivilrechtsklage. Der Kurs dauert zwei Jahre und kostet über 5000 Euro, am Ende stehen drei staatliche Prüfungen in mindestens zwei Sprachen. Rund 2000 autorisierte Fremdenführerinnen gibt es im Land. Rund 450 sind Mitglieder in einem Wiener Verein, der Führungen vermittelt und alles fixiert: gestaffelte Gruppentarife, Dauer der Tour, Zuschlag fürs Überziehen.

Dem Korsett entkommen alternative Themen: Eine Graffiti-Tour, Einblicke in den Alltag oder nächtliche Runden durch hippe Bars – solche Angebote erfordern gnädigerweise keine Lizenz. Die Kompetenz wäre auch schwer abzuprüfen. Aber für klassische Führungen arbeiten auch heimische Anbieter „freier“ Touren mit autorisierten Guides zusammen, oder mit Tschechen, die für 90 Tage nach ihrem Recht arbeiten dürfen. Denn nicht überall geht es so streng zu wie hier.

In Deutschland oder den Niederlanden etwa ist das Fremdenführertum gar nicht gesetzlich geregelt. Anderswo fallen zumindest die jungen Leute, die sich mit freien Führungen ein paar Euro dazuverdienen, unter den Schirm. Nicht so in Österreich: Die Musikstudentinnen aus Spanien, die sich auf Guruwalk angemeldet haben, müssen ständig damit rechnen, angehalten und abgestraft zu werden. Was Anna auch richtig findet. Sie hat viel Geld und Zeit in den Kurs investiert und zahlt Steuern.

Warum bietet sie trotzdem zweimal die Woche freie Touren an? Vor einem Jahr in London hat sie selbst eine mitgemacht, da hat sie die Leidenschaft gepackt. Freilich muss es sich lohnen. Im Schnitt kriegt sie nur acht Euro pro Kopf. Aber dafür machen mehr mit als bei Führungen nach Tarif: Bis zu 30, 35 Touris folgen ihr andächtig, wenn es nicht gar so heiß ist wie heute. Die Menge macht's. Dass manche Kollegen darob die Nase rümpfen, kann sie verkraften: Es macht auch einfach mehr Spaß, ihr und ihren Gästen.

Auf ihre Rechnung kommen sicher bald die Onlineplattformen, durch Werbung, Datenhandel – und Gebühren: Freetour.com holt sich von den Führern 20 Cent pro Anmeldung, Guruwalk will ab 2019 folgen. Im übrigen schweben sie salomonisch über dem Streit: Sie seien ja nur Vermittler. Das kennt man von den großen Vorbildern Airbnb und Uber. Aber ein Argument schicken sie doch für die Freiheit der Führer ins Rennen: Wozu denn strenge Prüfungen, wenn ein übersichtlicher Markt von sich aus die Spreu vom Weizen trennt? Denn dafür sorgten die Bewertungen der Nutzer: viele oder wenig Punkte, Warnungen oder hohes Lob. So wie bei Anna mit ihren fünf Sternchen.

Anbieter

Vermittlungsstelle für den „Verein der geprüften Wiener Fremdenführer“:
Vienna Guide Service (guides-in-vienna.at)

Internationale
Plattformen für
„Free Tours“: Freetour.com
Guruwalk.com

Wiener Anbieter
von „Free Tours“:
Prime Tours
(primetours.at)

Welcome Tour Vienna (welcometourvienna.at)

Good Vienna Tours
(goodviennatours.eu)

Annalovesvienna (www.annalovesvienna.at)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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