Das New Yorker Tennismärchen

Das beste Tennis seines Lebens? Juan Martín del Potro bittet heute in Flushing Meadows zum Showdown.
Das beste Tennis seines Lebens? Juan Martín del Potro bittet heute in Flushing Meadows zum Showdown. (c) USA TODAY Sports (Jerry Lai)
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Neun Jahre und viele Verletzungen nach seinem Sieg bei den US Open steht Juan Martín del Potro wieder im Finale. Gegen Novak Djoković ist er der Außenseiter.

Es ist eine dieser Geschichten, wie sie nur der Sport schreiben kann. Da war einmal ein junger Argentinier, der kurz vor seinem 21. Geburtstag völlig überraschend die US Open gewann und dabei Rafael Nadal und Roger Federer besiegte. Vom nächsten Superstar des Tennissports war die Rede, von einer neuen Nummer eins. Das war 2009. Es folgten Verletzungen und Operationen an beiden Handgelenken, das Karriereende stand mehrmals zur Debatte.

Nun ist Juan Martín del Potro zurück, im Finale von New York. Ausgerechnet an der Stätte seines größten Triumphs spielt er neun Jahre später um seinen zweiten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier. Der Weltranglistenerste Rafael Nadal gab im Halbfinale beim Stand von 6:7 und 2:6 auf, sein verletztes Knie machte ihm zu schaffen. Wenn „Delpo“, wie ihn seine Fangemeinde nennt, nun auch heute (22Uhr Mesz, live, Eurosport, ORF Sport plus, SRF zwei) gegen den Serben Novak Djoković gewinnen sollte, wäre eines der schönsten Märchen in der Tennisgeschichte perfekt.

„Ich habe mich selbst überrascht und ich habe die Tenniswelt überrascht“, sagte er mit gewohnt leiser Stimme nach dem Spiel gegen Nadal im Interviewraum des Arthur Ashe Stadion. Del Potro mag nicht so aussehen, aber der 1,98 Meter große Argentinier ist äußerst introvertiert. Neben Tennis zählt er Yoga, das er täglich praktiziert, zu seinen liebsten Beschäftigungen. Der Superstar ist immer noch ein wenig nervös, wenn er mit Journalisten spricht. Sein Englisch ist holprig, seine Hände zittern. „Ich kann es gar nicht glauben, dass ich noch mal im Finale der US Open stehen darf“, sagt er.

Die Krankenakte des Rechtshänders hat es tatsächlich in sich. 2010 musste sich del Potro zum ersten Mal operieren lassen, am Handgelenk seines Schlagarms. Den Titel in New York konnte er nicht verteidigen, in der Weltrangliste fiel er vom vierten Platz auf Position 257 zum Jahresende 2010 zurück. Mühsam kämpfte er sich zurück, erreichte 2012 wieder das Viertelfinale in Flushing Meadows, 2013 das Halbfinale in Wimbledon und den fünften Platz in der Rangliste.

Das Comeback war perfekt, der „Turm von Tandil“ spielte wieder auf höchstem Niveau und weitere Titel schienen nur eine Frage der Zeit. Bis die Schmerzen im anderen Handgelenk begannen. Es kam schlimmer als zuvor, insgesamt drei Operationen folgten in den Jahren 2014 und 2015. Das zweite Comeback war schwerer, es dauerte viel länger, auch weil del Potro seine Rückhand lange Zeit nur einhändig slicen konnte. Die einstige Waffe, sein souveräner beidhändiger Backhand-Kracher, war dahin.


Einmal noch.
„Ich hatte viele schlimme Momente, aber 2015 war sicherlich das schwierigste Jahr“, sagt del Potro. „Ich konnte keinen Weg finden, die Probleme mit meinem linken Handgelenk zu lösen.“ Einmal noch, sagte er zu seinen Ärzten, würde er es probieren. Drei Operationen hatten an den Nerven gezerrt, schließlich „kam jede OP ja auch mit einem gewissen Risiko“. Das Wagnis eines weiteren Eingriffs, des bis heute letzten, sollte sich bezahlt machen. Ab und an hat del Potro zwar immer noch Schmerzen, im Großen und Ganzen kann er aber problemlos spielen.

Wie gut er spielen kann, zeigte er phasenweise im ersten Satz gegen Nadal. Mehrmals passierte er den angreifenden Spanier, auch mit der Rückhand. „Er spielte großartig und hat es sich sicher verdient“, erklärte Nadal, dem man allerdings schon gegen Ende des ersten Satzes anmerkte, dass er unter Schmerzen litt. Wieder einmal herrscht unter seinen Anhängern Sorge um die Karriere der Nummer eins.

Die Patellasehne ist das Problem, sie ist chronisch entzündet. Das kann man behandeln, das kann man vorsichtig ausheilen lassen, aber der Schmerz kann trotz intensiver Präventionsmaßnahmen jederzeit wieder zurückkommen. So wie während des Halbfinales. Am Ende seiner Pressekonferenz nach dem Spiel hatte Nadal offensichtlich Tränen in den Augen. Frustriert verließ er die Anlage in Flushing Meadows, noch ist unklar, wann er wieder fit sein wird.

Vom Verletzungspech kann del Potro ein Lied singen, entsprechend zeigte er sich mitleidsvoll mit dem Spanier. Auf dem Platz verzichtete er auf seine gewohnte Jubelgeste, stattdessen wünschte er Nadal eine rasche Rückkehr auf den Tennisplatz. Auf die Frage, was seine eigenen Operationen für sein Spiel bedeutet haben, spricht del Potro seine Rückhand an. Im Gegensatz zu früher könne er diese nun variabler spielen, immer wieder streue er eben auch einen Slice ein.

Natürlich: Im Finale gegen Djoković ist der Argentinier Außenseiter. Der Serbe hat seit seiner Niederlage im Endspiel von Queens gegen Marin Čilić nur ein Spiel verloren und unter anderem in Wimbledon seinen 13.Major-Titel eingefahren. Im Halbfinale in New York überzeugte er einmal mehr und schickte den Japaner Kei Nishikori in drei souveränen Sätzen mit 6:3, 6:4 und 6:2 nach Hause.

„Er ist der Favorit“, erklärt del Potro gewohnt zurückhaltend. „Aber im Prinzip ist es egal, was passiert. Ich habe schon gewonnen, weil ich wieder ordentlich Tennis spielen kann und hier nach neun Jahren wieder im Finale stehe.“ Vielleicht kann er seinem persönlichen Tennismärchen am heutigen Sonntag ein weiteres Kapitel hinzufügen. Und wenn nicht? „Dann möchte ich noch viele Jahre verletzungsfrei weiterspielen und um eine weitere Chance kämpfen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2018)

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