Constanţa: Die große, schwarze Ruhe

Naheliegend. Mamaia ist der Badeplatz der Stadt für Locals wie Touristen.
Naheliegend. Mamaia ist der Badeplatz der Stadt für Locals wie Touristen. (c) flickr / Alexandru Panoiu (CC BY 2.0)
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Constanţa ist keine zuckersüße In-Destination, eher eine legere, etwas heruntergekommene Küstenstadt. Doch hat sie den Status der Unentdeckten.

Der römische Dichter Publius Ovidius Naso wurde im Jahr 8 n. Chr. von Kaiser Augustus verbannt. Ovid war als junger Mann mit Liebesgedichten („Amores“) berühmt geworden und hatte sich später mit lyrischen Nacherzählungen von Sagen („Metamorphosen“) einen Namen gemacht. In seinem mehrjährigen Exil in der Provinzstadt Tomis am Schwarzen Meer – das mit seinem Ableben beziehungsweise spurlosen Verschwinden aus der Weltgeschichte endete – verfasste er vor allem Klagegedichte.

Ovid konnte sich durchaus einen Reim auf seine Verbannung machen. Die Ungnade, in die er gefallen war, mochte auf seine „Ars amatoria“ zurückzuführen sein, eine Schrift, in der er galant bis frivol besprach, wo in Rom man auf Aufriss gehen konnte, wie man sich am besten die Frauen schnappte, und was man schließlich tun sollte, um sie nicht zu verlieren. Seine „Liebeskunst“ war ein Riesenerfolg gewesen, und so hatte er ein weiteres Buch nachgeschoben, eine Abhandlung aus Frauensicht, wie man die Männer interessiert hält, eifersüchtig macht. Besonders die expliziteren Abschnitte über Liebesstellungen hatten dem sittenbewussten Kaiser Augustus wohl nicht wirklich geschmeckt. Ob nicht auch politische Intrigen hinter der Verbannung standen, ist nicht mehr aufklärbar. Tomis lag zwar in der Provinz Mösien, aber nein, der Dichter hatte dort absolut keinen Spaß. Für Ovid bedeutete die romferne Kleinstadt die Hölle auf Erden. Erfolglos schrieb er Eingaben, um wieder in die Hauptstadt zu dürfen, wo er sein Publikum hatte. Doch auch Tiberius, Augustus’ Nachfolger, hob seine Verbannung nicht auf.

Markant. Das berühmteste Bauwerk: das Cazinoul din Constanţa.
Markant. Das berühmteste Bauwerk: das Cazinoul din Constanţa.(c) flickr / Stefan Jurca (CC BY 2.0)

Mosaikboden vor dem Hafen. Heute steht er in der Mitte der Piaţa Ovidiu, dem Ovidplatz, als Bronzestatue von Ettore Ferrari (1887), abgewandt vom großen Museum für Geschichte und Archäologie – der zerfurchte, grüblerische Dichter mit dem bekümmerten Blick. Seine wahre Grabstätte ist wie sein Todesdatum unbekannt. Besser wissen wir darüber Bescheid, dass Konstantin der Große im 4. Jahrhundert Tomis zu Ehren seiner Halbschwester in „Constantiana“ umbenannte und die Ansiedlung zur wichtigsten römischen Metropole der Schwarzmeerküste erhob. Von dieser Epoche zeugt, hinter Ovids Rücken, das offene, überdachte Mosaik-„Museum“ mit 800 Quadratmetern Thermen-Fliesen, die in den 1960er-Jahren ausgegraben wurden. Der Dichter spazierte niemals darüber, zu seiner Zeit befand sich an ungefähr dieser Stelle das Forum. Die alte Therme wendet sich dem Hafen zu, dem größten am Schwarzen Meer, und dem Ende des Donau-Schwarzmeer-Kanals, der ab 1949 vom jungen kommunistischen Staat mit dem Slogan „errichtet ohne und gegen die Bourgeoisie“ versehen wurde.

Aus einem oströmischen Bollwerk gegen die Awaren wurde das junge Constanţa bulgarisch, byzantinisch, wieder bulgarisch, gehörte dem Fürstentum Walachei und zum Osmanischen Reich, ehe Rumänien es sich 1878 einverleibte, obwohl Rumänen gegenüber den Tataren und Griechen in klarer Minderheit waren. Auf dem Ovidplatz, mit seinen italienischen Cafés und Eiswagen an den Rändern, über den Vorstadthündchen hetzen, hat die Dichterskulptur eine Menge gesehen.

Blick auf die Halbinsel. Auf beiden Seiten des traurigen Bronze-Ovid dehnt sich die quirlige Küstenstadt (320.000 Einwohner, fünftgrößte Rumäniens) aus. Nicht direkt am Platz, in der ersten Seitengasse, etwas versteckt, umstreift von wenigen Besuchern und einem weiß-beigen Hund – so steht die Carol-I.-Moschee, erbaut 1910–12 in ägyptisch-byzantinischem Stil. Fünfzig Meter ragt sie hoch, mit einem 140-stufigen Minarett. Von der Plattform aus sieht man Neu- und Altstadt, also die „Peninsulă“ Strand und Casino aus der Vogelperspektive. Benannt ist sie nach dem Hohenzollern-König, der das Land in den Jahrzehnten vor 1914 regierte und sich als Enteigner seiner muslimischen Bevölkerung hervortat, die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein Viertel der Einwohner ausmachte. Rund ein Zwanzigstel der Bevölkerung ist heute muslimisch, die Community besteht größtenteils aus hanafitischen Sunniten, die seit über 700 Jahren ansässig sind. Eine dunkle Stunde erlebte der Ovidplatz, als feindliche deutsche und bulgarische Truppen im Oktober 1916 Aufstellung nahmen. Zehntausende Muslime mussten in die Türkei flüchten. Der Alptraum endete erst 1918 mit der Befreiung durch die Alliierten.

Romantisch. Das Casino wartet, teils saniert, auf nächste bauliche Schritte.
Romantisch. Das Casino wartet, teils saniert, auf nächste bauliche Schritte.(c) APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU

Vorher bombardierten die Invasoren noch das berühmteste Bauwerk, obwohl es in den Kriegstagen schon zum Lazarett umfunktioniert war: An der Hafenpromenade erhebt sich das Casino („Cazinoul din Constanţa“), Jahrgang 1910. Der Art-déco-Prunkpalast für die Schönen und Reichen stand von Beginn an in architektonischer Kritik von rechts und sozialer von links. Im Zweiten Weltkrieg, als er deutschen Truppen als Unterkunft diente, wiederholte sich die Geschichte. Nun bombardierten die Alliierten das Casino. In der kommunistischen Ära mussten es politische Häftlinge wiedererrichten, das Bauwerk fungierte bis 1990 als Kulturpalast. Auch heute, nach endloser Renovierung, zeigt sich das Casino auf Investorsuche „noch“ geschlossen, 2019, heißt es, soll sich was tun, also allerfrühestens 2020. Momentan steht ein einsamer Securitymann vor dem Wahrzeichen. Weiter westlich an der Promenade liegt ein kleiner Park mit dem Genueser Leuchtturm, acht Meter hoch und im 19. Jahrhundert originalgetreu dem ursprünglichen, ein halbes Jahrtausend älteren Vorbild nachgebaut.

Constanţa ist eine durch und durch von ihren Bewohnern geprägte Stadt, eine große Unentdeckte. Kaum verirren sich ein paar Russen hierher, und der eine oder andere Franzose oder Deutsche. In einer Zeit ungebremsten Städtetourismus-Wachstums sehen wir uns einer ungekünstelten Großstadt gegenüber, keiner zuckersüßen In-Destination. Ihre ursprünglicheren Rei- ze werden zu normalen Preisen feilgeboten, wenn auch oft ein bisschen leger und heruntergekommen. Die Miete für eine „Şeslong“ am Stadtstrand (gleichsam Chaiselongue, vulgo zwei Bettengestelle mit Schirm) macht 15 Lei aus, ein Bruchteil der Preise an der Adria. Dazu kommt das übliche Bacşiş an einen der ambulanten Vermieter, die dafür ein Auge auf die Handtücher werfen. Von der Neustadt führt die „Tiroliana“ bis zu einer Plattform bei den Wellen, einer metallenen Seilrutsche, die über Felsen, Büsche und Katzenhalden zum Sand führt.

Constanţa entkam dem Ostblock-Flair vergleichsweise spät, als Bukarest und Kronstadt längst in Renovierung standen. In den 1990er-Jahren sah es „original“ nach Ceauşescu-Land aus. Dann bauten sie eine Fußgängerzone, aus der sich mondäne Läden bis heute hartnäckig fernhalten. Besucher mögen in einem seltsamen, kantinenähnlichen Saal namens „Bistro“ enden, und nun haben sie Appetit. „Es gibt nur Ciorbă de burtă“, erklärt die Kellnerin, heute sei keine Köchin anwesend. Es klingt freundlich-resigniert, wie eine lieb gewonnene Ausrede. Auf der Speisekarte steht immerhin alles, was es theoretisch geben könnte. Der österreichisch-ungarische Einfluss, Byzanz und auch Russland hinterlassen in der Nationalküche Spuren – der hohe Stellenwert von Fleisch, vor allem Schwein, meist mit „mămăligă“, gestockter Polenta, und von Sauerrahm. Zwei Suppen sind die Klassiker, „borş“ (Borschtscht) und eben die populäre Ciorbă de burtă, weiße Knoblauchbrühe mit Kutteln, Rahm und Pfefferoni.

Maritim. Die Nachbildung des Genueser Leucht­turms steht an der Promenade.
Maritim. Die Nachbildung des Genueser Leucht­turms steht an der Promenade.(c) flickr / Stefan Jurca (CC BY 2.0)

Mamaia, mon amour. Der unglückliche Ovid verglich die Einwohner dieses Landstrichs mit Wölfen; Unliebenswürdigkeit und Düsternis fielen ihm dazu ein. Der Wellenschlag des überraschend harmlosen „Marea Neagră“ lässt nachvollziehen, wie leer ihm diese Landschaft erschienen sein mochte, zumal, weil sie so flach ist. Constanţa liegt in der Dobrudscha. Diese historische Küstenregion reicht nach Bulgarien, in ihr leben neben den beiden Völkern auch Türken, Tataren, Lipowaner, Griechen, Roma und Deutsche oder deren Nachkommen. Der bulgarische Küstenstreifen ist hügelig, der rumänische aber flach. Neben der Landwirtschaft (Weizen, Gerste, Mais, Sonnenblumen) florieren neuerdings die Windkraftanlagen.

Auch in Mamaia windet es. Als Stolz des lokalen Tourismus im Lignano-Style ist Mamaia aus westlicher Sicht Synonym für eine Hotelstadt mit Sonnenschirmreihen, Vergnügungsstätten und Strandbuffets mit golden-fetttriefenden, wunderbaren Speisen und einer Menge smântâna, Schlagobers. Eine Gondelbahn fährt vom Ausgangspunkt, an dem sich der Wasserpark „Aqua Magic“ befindet, bis inmitten der Promenade mit ihren Shops, bunt und doch unaufdringlich in der zweiten Reihe. Doch auch an Stellen, wo Menschen es laut machen könnten, dämpft das Schwarze Meer die Geräusche ab, als würde eine große, schwarze Ruhe über allem liegen.

Infos

Übernachten: Hotel Belle ­Epoque Villa, wenige Zimmer, historische Ausstattung, Tomis Boulevard 16, belle-epoque-villa.ro

Hotel Carol, günstig, große, einfache Zimmer, Strada Mihail Kogăl-niceanu 15, carolhotel.ro

Hotel Cherica, Stadtstrand-Nähe, historisches Gebäude, renoviert, 4*, Strada Ștefan cel Mare


Essen/Trinken: Esplanada, ­nahe Stadtstrand, gute Fischgerichte, schöne Terrasse, ­Strada Mircea cel Bătrân 62

Casa Tomis, Blick über den Jachthafen, Hausmannskost, Strada Remus Opreanu 8

Café d’Art, In-Bierlokal, Strada Mircea cel Bătrân 97

Café do Brasil, offen, lässig, im Park, Strada Ștefan cel Mare

Club Two, durchdesignter Nacht- und Tanzclub, Marc Aureliu 11

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