Überraschende Resultate in Pjöngjang. Nordkorea verspricht, Atomanlagen zu schließen und internationale Inspektoren zuzulassen. Diktator Kim will heuer nach Seoul reisen.
Tokio/Seoul. „Verrückt!“ „Sensationell!“ „Atemberaubend!“ So kommentieren Südkoreas Medien die überraschend klaren Resultate am zweiten Tag des innerkoreanischen Gipfels. In einer am Mittwoch unterzeichneten Erklärung vereinbarten der südkoreanische Präsident Moon Jae-in und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un, die geteilte Halbinsel von Atomwaffen zu befreien.
Im Anschluss unterzeichneten die Verteidigungsminister beider Seiten eine Übereinkunft, die Spannungen an der Grenze, vor allem aber bewaffnete Scharmützel, künftig verhindern soll. Dazu dienen auch Puffer- und Flugverbotszonen. Ab 1. November sollen provokative Manöver im Gelben Meer und am 38. Breitengrad eingestellt werden.
Die vorsichtige Gipfeltaktik des südkoreanischen Staatschefs hat sich offenbar ausgezahlt: öffentlich keine hohen Erwartungen schüren, aber sanften, stetigen Druck ausüben. Und plötzlich zog Diktator Kim ein Zugeständnis nach dem anderen aus dem Ärmel. Die Testanlage Sohae an der nordkoreanischen Westküste, wo Raketenantriebe entwickelt werden, sowie die dort befindliche Startrampe sollen unter Aufsicht von internationalen Inspektoren vollständig abgewickelt werden. US-Experten hatten bereits im Juli Anzeichen dafür gesehen, dass die Demontage begonnen hat.
„Keine Illusion“
Diktator Kim soll sich nach Angaben seines Konterparts Moon sogar zum Abbau seiner landesweit wichtigsten Atomanlage in Yongbyon bereit erklärt haben. Dort stehen ein Nuklearreaktor, Anlagen zur Anreicherung von Uran sowie für die Wiederaufbereitung von waffenfähigem Plutonium. Ohne diesen Komplex wäre das nordkoreanische Atomprogramm praktisch am Ende. Moon spricht deshalb davon, dass eine „atomwaffenfreie Halbinsel keine Illusion mehr ist“.
Das ist bisher nur eine Absichtserklärung von Kim Jong-un, öffentlich kundgetan von Moon Jae-in. Unklar ist, wann der Betrieb von Yongbyon eingestellt werden soll – und was Kim als Gegenleistung erwartet. Er soll von einem „Entgegenkommen“ der USA und Südkoreas geredet haben.
Offenbar zielt er auf einen zweiten Gipfel mit Donald Trump ab, bei dem der US-Präsident für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Nordkorea eintritt. Zudem ist ein umfassender Friedensvertrag denkbar, der den Waffenstillstand von 1953 ablöst und damit den Korea-Krieg endgültig beendet. Und Pjöngjang erwartet vermutlich eine amerikanische Sicherheitsgarantie, die am Ende auf eine Existenzbürgschaft für das Kim-Regime hinauslaufen würde.
Trump zeigte sich zunächst begeistert. Als „sehr aufregend“ kommentierte der US-Präsident via Twitter die Ergebnisse dieses Korea-Gipfels. In einem Punkt hat er recht: Solange verhandelt wird, gibt es mutmaßlich keine nordkoreanischen Atom- oder Raketentests. Ob das Ergebnis von Pjöngjang schon „bedeutende und überprüfbare Schritte in Richtung atomare Abrüstung“ bedeutet, wie sie die USA verlangen, kann nur ein zweites Treffen zwischen Trump und Kim klären, das angeblich für Mitte Oktober vorbereitet wird. Südkoreas Präsident Moon wird Trump kommende Woche am Rande der UN-Vollversammlung in New York treffen und dabei seine Einschätzung übermitteln.
Klarer ist, was Nordkorea vom Süden erwartet: Wirtschaftshilfe, um seine marode Ökonomie zu sanieren und den Lebensstandard der 25 Millionen Nordkoreaner allmählich an den Süd-Standard anzupassen. Einige Kim-Wünsche könnten schnell erfüllt werden. So soll der gemeinsame Industriepark Kaesong wiedereröffnet werden, wo rund 50.000 Nordkoreaner für südkoreanische Firmen einfache Industriegüter herstellen und damit dem Regime Devisen in die Kassen spülen. Wegen des Atomstreits hatte Seoul dieses Objekt 2016 auf Eis gelegt. Geht der Betrieb wieder los, würde dort als Schnittstelle eine Zugverbindung durch ganz Korea möglich.
Bewerbung für Olympia 2032
Für eine derartige Kooperation ist es indes zwingend nötig, dass die Sanktionen gegen das Kim-Regime fallen. Das ist Chefsache in Washington. In jedem Fall wollen Kim und Moon den Gesprächsfaden weiterspinnen. Heuer noch könnte Kim als erster Führer des kommunistischen Nordkoreas Seoul besuchen, die Hauptstadt Südkoreas. Für die Olympischen Spiele 2032 wollen sich die beiden Ländern dann sogar gemeinsam bewerben.
Ein Treffen in Wien?
US-Außenminister Mike Pompeo äußerte in einem Statement am Mittwoch die Hoffnung, dass die Gespräche über ein Ende des Atomprogramms bis Jänner 2021 abgeschlossen werden könnten. Nächste Woche will er seinen nordkoreanischen Amtskollegen treffen. Und Washington habe Vertreter Nordkoreas eingeladen, den US-Sondergesandten Stephen Biegun "so bald wie möglich" in Wien zu treffen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2018)