Haushaltspolitik: Europas italienische Zwickmühle

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Als Folge der Griechenlandkrise verschärfte die EU ihre Sanktionen für exzessive Schulden. Was diese wert sind, wird sich nun an Italiens Defizitplänen weisen.

Straßburg. Silvio Berlusconi und Matteo Renzi sind einander spinnefeind, doch in einem Punkt passt kein Blatt Papier zwischen die beiden: Der Plan der neuen Regierung Italiens, im Jahr 2019 neue Schulden im Ausmaß von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung zu machen, alarmiert beide einstige Ministerpräsidenten. Renzi warnte vor „venezolanischen Zuständen“ und warf der Koalition aus linkspopulistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsautoritärer Lega „Verantwortungslosigkeit“ vor. Berlusconi mahnte seinerseits, als Folge der Haushaltspolitik drohe die „Verarmung Italiens.“

Jenseits dieses innenpolitischen Theaterdonners stellt sich die Frage: Droht Italien eine Geldstrafe? Dies sieht der Stabilitätspakt seit Dezember 2011 als letzte Konsequenz für Regierungen vor, die sich nicht an die von den Finanzministern auf Empfehlung der Kommission beschlossenen Maßnahmen zur Verringerung einer überschießenden Neuverschuldung halten. Als Reaktion auf das Entgleiten der griechischen Staatsfinanzen, die beinahe die Währungsunion und somit den Euro gesprengt hätten, einigte man sich auf eine Verschärfung der Haushaltsregeln. „Sixpack“ nannte man diese sechs Gesetzesnovellen, allerlei Kalauer aus der Welt der Leibesertüchtigungen konnten über den ernsten Kern dieser Reform nicht hinwegtäuschen. Wer auf die Brüsseler Vorgaben pfeift, riskiert seither eine Strafzahlung von bis zu 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung: zuerst als verzinsliche Einlage, die man im Fall des Wohlverhaltens zurückerhält, dann als unverzinste Einlage, schließlich als Geldbuße.

Angst vor dem eigenen politischen Mut

Diese Strafen können schnell verhängt werden. Denn der Sixpack erschwerte die Möglichkeit zur Blockade im Rat: Empfiehlt die Kommission eine Sanktion, kommt sie zustande, falls der betreffende Mitgliedstaat nicht eine qualifizierte Mehrheit anderer Finanzminister dagegen versammelt.

Das eindrucksvolle Arsenal an Waffen zur Verteidigung der gemeinsamen Haushaltsvorgaben (und damit der Glaubwürdigkeit des Euro) wird für die Euromitglieder um einen gleichartigen Sanktionsmechanismus ergänzt, der zur Einhaltung von Reformschritten animieren soll, die Haushaltskrisen wie die griechische gar nicht erst entstehen lassen sollen. 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt hier das Strafausmaß, das stufenweise verschärft werden kann.

Allein: Ohne den politischen Mut der Kommission, diese Bußen vorzuschlagen, bleibt der Sixpack wirkungslos. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab schon bald dem Druck der Mitgliedstaaten nach und stellte im Jänner 2015 „Leitlinien“ zur Anwendung des Stabilitätspaktes vor. Eine „Verwässerung“ sei das keineswegs, betonte die Kommission. Was das Regelwerk tatsächlich wert ist, wird sich nun am italienischen Fall offenbaren. Die Fakten sprechen klar dafür, Rom zu bestrafen. Zwar liegt das geplante Defizit unter der Messlatte von drei Prozent. Doch die gesamte Staatsschuld von derzeit mehr als 131 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ist weit über dem Richtwert von 60 Prozent, und sie wird durch diese hohe Neuverschuldung wachsen, statt „hinreichend rückläufig“ zu sein und sich diesem Richtwert „rasch genug“ zu nähern, wie es der Vertrag über die Arbeitsweise der EU vorsieht.

Gefahr des römischen Opfermythos

Doch die Union steckt in einer politischen Zwickmühle: Wird sie nicht aktiv, darf sich die italienische Regierung in ihrer Trotzhaltung bestätigt fühlen. Wirft man die Sanktionsmaschine an, kann sie sich als Opfer eines bürgerfremden „Brüsseler Diktats“ inszenieren. Doch schon gehen in der italienischen Presse Gerüchte um, wonach die Finanzminister im November den Haushaltsvorschlag ablehnen würden. Sofort trat jene Sanktion ein, deren Schwere Italien sofort spüren würde, ungeachtet aller Brüsseler Winkelzüge: Anleger verkauften italienischen Staatsanleihen, ihr Preis fiel.

Auf einen Blick

Italiens Regierung will 2019 neue Schulden im Ausmaß von 2,4 Prozent machen. Das verstößt gegen den Stabilitätspakt. Denn dieses Defizit ist dreimal so hoch wie jenes, welches der Vorgängerregierung von der Kommission und den anderen Finanzministern zugestanden wurde. Die nun zu erwartende höhere Neuverschuldung würde Italiens Staatsschuld von 131 BIP-Prozent – die zweithöchste nach der griechischen – weiter vergrößern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2018)

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