Die UN-Botschafterin wird nach ihrem avisierten Rücktritt für Topjobs in der US-Politik gehandelt – bis zur Präsidentschaftskandidatin. Sie ist eine Rarität unter den Konservativen.
Wien/Washington. Lobeshymnen und Respektbezeugungen von Donald Trump über Benjamin Netanjahu bis hin zum russischen UN-Botschafter, ihrem Konterpart in der New Yorker Zentrale der Vereinten Nationen, begleiteten den vorläufigen und freiwilligen Abgang Nikki Haleys aus der Spitzenpolitik. Das ist eine Seltenheit, und in der US-Regierung, in der die UN-Botschafterin Sitz und Stimme hat, ist es überhaupt ein Novum. Sogar die „New York Times“ weinte der 46-jährigen Diplomatin eine Träne nach. „Sie wird vermisst werden“, titelte das Blatt in seinem Leitartikel, was der US-Präsident mit einem gewissen Neidgefühl verfolgt haben dürfte.
Vor drei Wochen, im Zuge der UN-Generalversammlung und einer Sicherheitsratssitzung, hatte die Botschafterin Trump noch die Welt der UNO erklärt. Am Dienstagabend nahm er vor dem Kamin im Oval Office des Weißen Hauses ihre Demissionierung zum Jahresende entgegen. Es waren quasi die höheren Weihen für einen Rücktritt. Nach sechs Jahren als Gouverneurin von South Carolina und zwei als UN-Botschafterin wolle sie sich eine Auszeit nehmen, lautete ihre Begründung. Dahinter verbergen sich indessen profanere Gründe: Um Schulden und eine Hypothek von insgesamt 1,5 Millionen Dollar abzudecken, müsse sie nun dringend Geld verdienen, heißt es in ihrer Umgebung.
Haleys avisierter Abgang markiert den Auftakt für einen Regierungsumbau im Weißen Haus nach den Kongresswahlen in vier Wochen. Einige Minister bangen um ihre Jobs, allen voran Jeff Sessions, der ungeliebte Justizminister. Bis dahin sollte auch Haleys Nachfolger in der UNO feststehen. Fünf Personen stünden zur engeren Wahl, verkündete der US-Präsident – explizit indes nicht Richard Grenell, der umstrittene US-Botschafter in Deutschland. Eine Wunschkandidatin wäre seine Tochter Ivanka, ließ Trump wissen. Dies würde, fügte er hinzu, aber zu sehr nach Nepotismus riechen.
In der Washingtoner Gerüchteküche wird derzeit Dina Powell als Favoritin gehandelt, die ehemalige stellvertretende Sicherheitsberaterin. Wie Nikki Haley gilt die 45-jährige Ex-Managerin bei Goldman Sachs – eine Tochter aus Ägypten emigrierter koptischer Christen – als Vertraute des Powerpaars Ivanka Trump und Jared Kushner. Und wie Haley, die Tochter indischer Immigranten und bekennender Sikhs, ist sie eine Rarität unter den Republikanern. Die „Grand Old Party“, eine Partei älterer, weißer angelsächsischer, protestantischer Männer – der „Wasps“ –, weist ein eklatantes Defizit bei führenden Frauen und Minoritäten auf.
Nicht immer einer Meinung mit Trump
Als harte, streitbare Verfechterin amerikanischer Interessen auf der Weltbühne und des Rückzugs der USA aus UN-Gremien, als vehemente Kritikerin Russlands und Syriens und als Verteidigerin Israels hat sich Nikki Haley in der UNO einen Namen gemacht – so sehr, dass ihr Glamour und ihre Selbstdarstellung jene des früheren US-Außenministers Rex Tillerson überstrahlten.
Für seine Nachfolge war sie im Gespräch, bis Mike Pompeo und Sicherheitsberater John Bolton im Frühjahr die Zügel in der Außenpolitik in die Hand nahmen. Zuletzt kreuzte sie die Klingen mit Bolton, einem früheren UN-Botschafter und scharfen UN-Kritiker. Und sie redete auch Donald Trump nicht immer nach dem Mund, sondern vertrat ihre eigene Position – am deutlichsten bei der Ankündigung von US-Sanktionen gegen Russland, was im Weißen Haus zunächst auf Unmut stieß. Schon im Wahlkampf hatte sie dessen Gegner Marco Rubio unterstützt.
Dass der Haley-Komet in die Politik zurückkehren wird, gilt derweil als fix. Donald Trump bot Nikki Haley ein Comeback in seinem Kabinett an. Die Spekulationen reichen von Senatorin bis Vizepräsidentschaftskandidatin. Damit dürfte sich Haley allerdings nicht zufriedengeben. Spätestens 2024 könnte sie die Präsidentschaft anpeilen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2018)