EU-Angriff auf die letzten Kaufleute

Clemens Fabry
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In Brüssel wartet ein pikantes Gesetz auf den Beschluss: Eigentlich soll es unfairen Handel unterbinden. Eine kurzfristige Änderung könnte aber die Existenz Tausender Kaufleute bedrohen.

Wien. Österreichs Supermärkte wiegten sich in Sicherheit, nachdem sich Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) zu Wochenbeginn klar auf ihre Seite geschlagen hatte. Es ging um das EU-Gesetzesvorhaben gegen unfaire Deals im Lebensmittelhandel. Köstinger machte als Ratsvorsitzende klar: Große Lebensmittelkonzerne wie Coca-Cola oder Nestlé müssten nicht vor den Supermarktketten geschützt werden. Die Richtlinie soll rein die Bauern schützen.

Die Ketten freuten sich über den Dämpfer für die Lebensmittellobby. Bis im Lauf der Woche durchgesickert ist, was die Richtlinie noch an Sprengstoff enthält. Denn in letzter Sekunde haben vier deutsche EU-Parlamentarier wesentliche Punkte hineinreklamiert.

„Das sticht die Kleinen ab“

Nun steht – vereinfacht gesprochen – im Entwurf: Kleine Händler dürfen ihre Ware nicht mehr gemeinsam einkaufen. Das ist Usus bei allen verbliebenen Kaufleuten, ob sie zu Adeg, Nah&Frisch oder zu den letzten Einzelkämpfern unter dem Dach der Spar-Gruppe zählen. Nur so bekommen sie wettbewerbsfähige Preise. Nach dem derzeitigen Plan müsste jeder einzeln zum Hersteller gehen – also zu Größen wie Nestlé.

„Das sticht die Kleinen ab“, sagt Handelsverband-Chef Rainer Will. Was wiederum die Nahversorgung auf dem Land erschwere, die Landflucht beschleunige – und zu einer noch stärkeren Marktkonzentration führe. Hier sei in Erinnerung gerufen: Rewe (Billa, Merkur, Adeg), Spar und Hofer teilen sich bereits 84 Prozent des Lebensmittelhandels. Nach Wills Schätzung sind 1000 kleine Händler und 15.000 Arbeitsplätze in Österreich in Gefahr, sollte die Richtlinie so durchgehen.

In Deutschland schäumen die Lebensmittelhändler noch mehr. Dort sind viel mehr Supermärkte genossenschaftlich organisiert. Die Richtlinie kommt einer Kampfansage an die vielen kleinen Edeka- und Rewe-Kaufleute gleich. Die deutschen EU-Parlamentarier, die den Stein ins Rollen gebracht haben, rudern nach heftiger Kritik zurück: Sie hätten nicht den deutschen Mittelstand zerschlagen, sondern nur übernationale Einkaufskooperationen treffen wollen.

Alles nur eine unglückliche Formulierung? Wie dem auch sei, in Österreich herrscht ebenso Unverständnis. „So wie es drinsteht, geht es gegen das Geschäftsmodell von Spar“, sagt Sprecherin Nicole Berkmann im Gespräch mit der „Presse“. Bei Spar werden noch rund 760 der 1600 Filialen von selbstständigen Kaufleuten betrieben. „Sie sind definitiv nicht wettbewerbsfähig, wenn sie nicht gemeinsam einkaufen können“, sagt Berkmann. Ihr Chef, Gerhard Drexel, wurde am Donnerstag vor Journalisten deutlicher: Der Änderungsantrag habe „Stammtischniveau“.

Wie bio darf das Essen sein?

Mehr regt Drexel aber die zweite Änderung auf, die in letzter Minute in den Entwurf geschrieben wurde: Supermarktketten sollen bei Eigenmarken von ihren Produzenten nur noch gesetzliche Mindeststandards (also nicht strengere Vorgaben zu Bio, Tierwohl, Gentechnik oder Ähnlichem) verlangen dürfen.

Für Drexel sind die Eigenmarken sein größter Joker gegenüber der Industrie. Er nennt sie gern seinen „Unabhängigkeitsindex“. Jährlich schraubt er den Eigenmarkenumsatz um zehn Prozent in die Höhe. Mittlerweile machen Eigenmarken mit 2,6Mrd. Euro fast die Hälfte des Geschäfts aus.

Umweltschützer wie Greenpeace bangen zwar nicht wie er um ihre Verhandlungsposition, äußern aber ebenfalls Kritik: Die Organisation spricht von einem „Anschlag auf den Feinkostladen Österreich“. Höhere Standards, wie in Österreich üblich, dürften nicht verhindert werden.

Beide sehen Köstinger am Zug. Die Zeit drängt, das EU-Parlament soll schon am 24. Oktober abstimmen. Hinter den Kulissen gibt es Verständnis und Hilfsbekundungen von der Regierung. Aber die Händler wissen auch: Die Musik spielt in Brüssel. Wollen sie gehört werden, müssen sie dort laut sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2018)

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