Hans Niessl: „Wichtige Projekte dürfen nicht von Einzelpersonen blockiert werden können“

Landeshauptmann Hans Niessl (r.) im Gespräch mit „Presse“-Economist-Ressortleiter Gerhard Hofer: „Die Chinesen kennen vier Städte in Österreich: Wien, Salzburg, Hallstatt und Parndorf.“
Landeshauptmann Hans Niessl (r.) im Gespräch mit „Presse“-Economist-Ressortleiter Gerhard Hofer: „Die Chinesen kennen vier Städte in Österreich: Wien, Salzburg, Hallstatt und Parndorf.“(c) Die Presse (Clemens Faby)
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Hans Niessl blickt auf 18 Jahre Landeshauptmannschaft zurück. Er spricht über 30.000 neue Jobs im Burgenland, seinen Kampf um die S 7 und gegen Lohn- und Sozialdumping.

Laut einer jüngst veröffentlichten Werte-Studie ist den Österreichern die Arbeit nicht mehr so wichtig wie früher, Freunde sind längst wichtiger geworden. Ist das eine gute oder eine schlechte Entwicklung?

Hans Niessl: Ich habe eine andere Wertvorstellung. Für mich hat Arbeit einen sehr hohen Wert. Wenn man keinen Job hat, dann wird man wohl erst merken, wie wichtig die Arbeit ist. Viele Freunde, aber keinen Job zu haben, ist doch kein erstrebenswerter Zustand.


Vielleicht verändern sich die Werte, weil es uns wirtschaftlich so gut geht?

Wir leben heute in einer Zeit mit drei Prozent Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit geht zurück, vielleicht erachtet man aktuell den hohen Stellenwert der Arbeit nicht so wichtig wie in Zeiten, in denen es wirtschaftlich schwierig ist. Vielleicht ist Arbeit für viele schon selbstverständlich geworden? Aber es ist keine Selbstverständlichkeit. Es werden wieder Zeiten kommen, in der die Arbeitslosigkeit ansteigt. Für die Politik müssen Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Entwicklung den höchsten Stellenwert haben.


Jeder dritte Burgenländer hat einen Arbeitsplatz außerhalb des Burgenlands, der mit Abstand größte Arbeitgeber ist das Land. Warum tut sich das Burgenland noch immer schwer, abseits des öffentlichen Sektors Arbeitsplätze zu schaffen?

Dieser Blickwinkel entspricht nicht der Realität. Wir haben in den 18 Jahren, in denen ich Landeshauptmann bin, die Zahl der Beschäftigten im Burgenland um 30 Prozent erhöht. Das ist der höchste Zuwachs aller Bundesländer. Einzelne Regionen liegen im österreichischen Spitzenfeld.


Der Norden profitiert davon, zwischen den Metropolen Wien und Bratislava zu liegen.

Natürlich ist es im Süden schwieriger und gibt es im Norden aufgrund der von Ihnen angesprochenen Lage viele Selbstläufer. Wir haben in Parndorf das größte Outletcenter Europas. Hätte ich vor 20 Jahren gesagt, dass halb Europa nach Parndorf einkaufen fährt, hätten die Leute wohl gesagt: „Der ist unwählbar, der hat Visionen, die nicht therapierbar sind.“ Die Chinesen kennen vier Städte in Österreich: Wien, Salzburg, Hallstatt und Parndorf. Wir sind heute auch die einzige Region Europas, die 150 Prozent des eigenen Strombedarfs selbst erzeugt, und nicht zuletzt zählt der burgenländische Wein zu den weltbesten. Darüber hinaus haben wir den Export – zugegeben von einem niedrigen Niveau aus – stark angehoben. Das ländlichste Bundesland exportiert Waren im Wert von 2,5 Milliarden Euro.


Vor allem auch die Exporte nach China sind kräftig gestiegen.

Im Dezember wird wieder eine Delegation aus dem Burgenland nach China reisen, um konkrete Verträge abzuschließen.


Mit anderen Worten: Die Burgenländer pendeln mittlerweile auch schon bis China.

Wenn wir übers Pendeln reden, müssen wir Pendeln erst einmal definieren. Wenn heute jemand aus Bruckneudorf, Parndorf oder Neusiedl zum Flughafen Wien pendelt, dann pendelt er 20 Minuten. Viele Wiener brauchen also viel länger in die Arbeit. Am Flughafen arbeiten etwa 4500 Burgenländer. Ja, das sind Pendler. Außerdem pendeln mittlerweile mehrere Tausend Menschen aus Wien ins Burgenland. Das hat es früher überhaupt nicht gegeben, dass hoch qualifizierte Mitarbeiter ins Burgenland pendeln.


Wohin pendeln diese qualifizierten Mitarbeiter?

Die Firma Schlumberger hat sich im Burgenland angesiedelt, XXXLutz hat sein Europa-Logistikzentrum uns Burgenland verlegt, der Arzneimittelerzeuger Sigmapharm beginnt bei uns mit der Probeproduktion. Wir haben Lenzing, Delphi Packard, die von hier aus in die ganze Welt exportieren. Das ist das neue Burgenland. Ein Land mit digitalisierter Industrie. Viele Unternehmen tun sich mittlerweile schwer, genügend Mitarbeiter zu finden. Das alles spricht für den Wirtschaftsstandort Burgenland mit 110.000 Beschäftigten. 80.000 waren es im Jahr 2000.


Weil sich Unternehmen Im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr in Ballungszentren ansiedeln müssen?

Das spielt sicher mit. Wir haben im Burgenland übrigens die höchste Zahl an E-Learning-Klassen, Digitalisierung hat im Schulunterricht große Priorität, ich würde sagen, da sind wir österreichweit führend. Aber noch wichtiger ist für mich die Straßeninfrastruktur. Das klingt vielleicht etwas konservativ. Aber ich habe als Landeshauptmann 15 Jahre lang für den Ausbau der S 7 gekämpft. Davon werden die strukturschwachen Regionen Jennersdorf und Güssing massiv profitieren. Jetzt wird gebaut. Und schon in der Bauphase hat dieses Projekt einen riesigen Impuls für das südliche Burgenland. Schon jetzt siedeln sich Betriebe an, weil sie wissen, dass hier die Infrastruktur geschaffen wird. Aber 15 Jahre lang musste ich kämpfen, streiten und wurde gegen mich demonstriert.


Dann werden Sie auch begrüßen, dass die türkis-blaue Regierung die Umweltverträglichkeitsprüfungen reformiert und Umweltverfahren verkürzt.

Ihnen wird nicht entgangen sein, dass ich mich immer für die dritte Piste des Flughafens Wien ausgesprochen habe. Auch der Landtag hat sich für die dritte Piste ausgesprochen, weil wir für Wachstum und Beschäftigung sind. Der Bundesregierung geht es wohl mehr um wirtschaftliche Effizienz. Da muss man halt vorsichtig sein. Effizienz darf nicht zu Lohn- und Sozialdumping führen. Aber wichtige Infrastrukturprojekte dürfen nicht von Einzelpersonen 17 Jahre lang – wie es bei der S 7 der Fall war – blockiert werden können.


Sie haben das Thema Sozialdumping angesprochen. Die Personenfreizügigkeit in der EU ist Ihnen seit Langem ein Dorn im Auge. Wo würden Sie die Grenzen dieser Freizügigkeit ziehen?

Es steht außer Diskussion, dass wir in Österreich in einzelnen Bereichen Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigen. Das wird kein vernünftiger Mensch bestreiten. Ich denke da etwa an den Pflegebereich. Wir haben in Österreich auch zu wenig Ärzte. Aber natürlich müssen wir in der Pflege auch das Angebot für Österreicher ausdehnen und diesen Beruf attraktiv machen. Und „attraktiv machen“ heißt, für eine entsprechende Bezahlung zu sorgen. Die Menschen, die im Gesundheitswesen beschäftigt sind, verdienen eine bessere Bezahlung, als das im Augenblick der Fall ist. Wir brauchen auch kreative Lösungen für die 24-Stunden-Pflege zuhause. Ich vermisse etwa attraktive Angebote für Familienmitglieder. Das wird leider nicht getan.


Sie sprechen jetzt von sogenannten Mangelberufen. Aber die Personenfreizügigkeit gilt für alle EU-Bürger, nicht nur für Pflegerinnen aus Rumänien.

Dort, wo es in Richtung Sozial- und Lohndumping geht, darf es keine Toleranz geben. Wenn etwa Firmen aus dem Ausland bei uns arbeiten, nicht den österreichischen Kollektivvertrag bezahlen und burgenländische Firmen dadurch benachteiligt sind. In vielen Fällen wird kein Kollektivvertrag bezahlt, weil auch die Kontrollen schwierig sind.


Und mitunter sind diese ungarischen Firmen Niederlassungen österreichischer Unternehmen.

Das stimmt auch. Aber das ist nicht fair und dagegen geht ja auch die Wirtschaftskammer vor. Gegen dieses Lohndumping müssen auch die Sozialpartner gemeinsam kämpfen. Das wäre eine neue, erweiterte Form der Sozialpartnerschaft. Denn Sozialdumping ist schlecht für die Arbeitnehmer und auch schlecht für die Betriebe. Und in Branchen, in denen eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht, kann man doch nicht diese Arbeitslosigkeit verstärken, indem man massiv Leute aus dem Ausland beschäftigt. Das betrifft ja vor allem ältere Arbeitnehmer, etwa am Bau oder im Baunebengewerbe.


Und die Kontrollen sind zahnlos?

Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl hat zwei Millionen Euro Strafen wegen Lohn- und Sozialdumping ausgesprochen. Ein Bruchteil davon wurde tatsächlich bezahlt. Wenn ein österreichischer Unternehmer einen Fehler macht, muss er zahlen, sonst bekommt er ein Problem. So geht das doch nicht. Warum ist es in der EU möglich, dass Strafen nicht einbringbar sind?


Diese Frage müssten Sie Ihren Kollegen in Ungarn und in der Slowakei stellen.

Diese Frage muss man an Europa stellen. Natürlich haben die Ungarn kein Interesse daran, das ihre Leute bei uns bestraft werden. Die Gesetze sind nicht kontrollierbar und auch nicht administrierbar. Das ist ein Fehler der EU, der korrigiert gehört. Wenn man Freizügigkeit will, muss man die Einbringung der Strafen genauso regeln.


Sie haben nun mehrmals betont, dass Sie in vielen Fragen mit der Wirtschaftskammer übereinstimmen, bei der Frage des 12-Stunden-Tages ist das aber nicht der Fall. Warum?

Dass man heutzutage flexibel sein muss, steht außer Streit. Aber es kann nicht sein, dass die Unternehmer in der Hochkonjunktur gar nicht wissen, wie sie alle Aufträge annehmen sollen, aber bei den Überstundenzuschlägen sollen die Arbeitnehmer die Zeche bezahlen. Ich bin da für eine faire Balance. Ich gehöre noch zum alten Schlag, der eine soziale Marktwirtschaft nach Keynes propagiert. Und das setzt voraus, dass die Arbeitnehmer auch ihren Anteil am Erfolg bekommen.


Aber vielleicht kommt es bei den aktuellen Kollektivvertragsverhandlungen ohnehin zu hohen Lohnabschlüssen, dann wäre ja die Balance gewahrt?

Man kann doch nicht sagen, dass sich eine 60-Stunden-Woche dann einzig bei den Gehaltsverhandlungen widerspiegelt. Wenn man ein Wachstum von drei Prozent und eine Inflationsrate von zwei Prozent hernimmt, dann sagt uns die alte Benya-Formel ohnehin, was Sache ist.


Also mindestens fünf Prozent Lohnerhöhung.

Ich bin kein Utopist, ich bin Realist. Natürlich müssen die Betriebe Gewinne machen. Aber ich bin für Fairness. Und es ist nicht fair, dass geltende Überstundenregelungen reduziert werden.

Zur Person

Hans Niessl ist seit Dezember 2000 Landeshauptmann des Burgenlands. Am 28. Februar 2019 wird er sein Amt an Hans Peter Doskozil übergeben. Niessl wurde 1951 in Zurndorf geboren. Er wurde Lehrer und war Direktor der Hauptschule Frauenkirchen. In der Weinbaugemeinde war er auch 16 Jahre lang Bürgermeister.

Niessl führte die SPÖ im Jahr 2005 zu einem historischen Wahlerfolg. Nach Jahrzehnten schaffte die SPÖ eine absolute Mehrheit im Landtag. Ebenfalls „historisch“ ist, dass der Sozialdemokrat 2015 auf Landesebene eine Koalition mit der FPÖ eingegangen ist.

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