Konjunktur: Ein Warnsignal aus Deutschland

VW-Modelle warten auf die Verschiffung in Emden. Zuletzt musste der Konzern nicht zugelassene Autos „zwischenparken“.
VW-Modelle warten auf die Verschiffung in Emden. Zuletzt musste der Konzern nicht zugelassene Autos „zwischenparken“.REUTERS
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Erstmals seit dreieinhalb Jahren ist die deutsche Wirtschaft im Vergleich zum Vorquartal geschrumpft. Das liegt nicht nur an der missglückten Umstellung auf neue Abgastests.

Wien. Nur ein „Ausrutscher“, eine „Delle“, ein „kurzer Schwächeanfall“: Deutsche Politiker, Ökonomen und Bankanalysten beeilten sich am Mittwoch, das unerfreuliche Ereignis im Gleichklang kleinzureden. Aber Fakt ist: Die größte Volkswirtschaft Europas ist im dritten Quartal geschrumpft, um 0,2 Prozent zum Vierteljahr davor. Es ist der erste Einbruch seit Anfang 2015. Die große Frage ist: Geht es wirklich nur um eine Panne bei der Autoindustrie? Oder kündigt sich hier für ganz Europa ein richtiger Abschwung an?

Seit September gilt in der EU ein neuer, weltweiter Standard für Abgastests, der strenger ist und weniger Schlupflöcher zulässt als sein Vorgänger. Bis dahin hätten alle Modellvarianten neu zertifiziert werden müssen. In Deutschland gelang das besonders schlecht. Es gebe zu wenige Prüfstände, klagen die Autobauer. Was nur die halbe Wahrheit ist: Weitaus am stärksten betroffen ist der Branchenprimus, Volkswagen, bei dem der Dieselskandal zu viele Kapazitäten gebunden hatte, um den Umstieg rechtzeitig anzugehen.

Viele Hersteller drosselten ihre Produktion. Im Juli und August lieferte sich die Branche noch Rabattschlachten, um die Lager von Modellen nach altem Standard zu räumen. Damit brachen zuerst die Gewinne ein, im September dann die Absatzzahlen. Unterm Strich kam ein dickes Minus heraus – das sich jetzt langsam ausgleicht, weil die Gesamtnachfrage nach Autos ja kaum zurückgegangen ist.

Aber ist das alles? Autos und Zubehör machen gut vier Prozent der deutschen Wertschöpfung aus. Wie stark der Einbruch in der Branche und ihrem Umfeld war, lässt sich nur abschätzen, weil nicht alle Zahlen vorliegen. Im Mittel rechnet man mit einem Minus von sieben Prozent. Damit hätte die Zulassungsmisere rund drei Zehntelpunkte an Wirtschaftsleistung gekostet. Und das heißt: Auch ohne diese Panne wäre die deutsche Wirtschaft kaum gewachsen. Darauf deutet auch der Einkaufsmanagerindex hin, der beim Auftragseingang der Industrie einen Rückgang anzeigt. Und das muss andere Gründe haben.

Ein Blick auf die Detailzahlen zeigt: Es liegt vor allem am Export. Zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands ist China aufgestiegen. Dort hat sich die Dynamik zuletzt stark abgeschwächt – wahrscheinlich stärker, als es Peking mit den offiziellen Zahlen zugibt. Diese fernöstliche Eintrübung könnte deutlich länger lasten als ein einmaliger Kfz-Zulassungsstau.

Der Plafond ist erreicht

Aber auch bei den Kapazitäten ist ein Plafond erreicht. Die deutschen Investitionen fielen über den gesamten Aufschwung verhaltener aus als in Boomphasen üblich. Angesichts der vielen Risken, vom Brexit bis zum Damoklesschwert eines Handelskriegs mit den USA, ist das auch kein Wunder. Dazu kommt der immer deutlicher spürbare Mangel an Fachkräften. Diese Beschränkungen drücken das Potenzialwachstum, das bei bestehenden Kapazitäten möglich ist, ohne die Preise zu treiben. Es liegt für Deutschland nun bei rund 1,5 Prozent – und darauf laufen auch die nach unten revidierten Prognosen der Forschungsinstitute für 2019 hinaus. Dabei rechnen sie freilich nicht ein, dass auch nur eines der großen Risken schlagend wird, wie ein harter Brexit oder eine von Rom provozierte neue Eurokrise. Die italienische Wirtschaft stagnierte übrigens im dritten Quartal.

Ein unverhoffter Wachstumstreiber war hingegen Frankreich, mit plus 0,4 Prozent. Dort hatte sich auch die Autoindustrie besser auf die neuen Abgastests vorbereitet (mit dem Erfolg, dass Peugeot-Citroën vorübergehend Volkswagen vom Thron des größten europäischen Autobauers stieß). Aber Deutschland wiegt zu schwer: In Summe wuchs die Wirtschaft der Eurozone mit 0,2 Prozent so schwach wie seit über vier Jahren nicht mehr. Und Österreich? Bleibt mit plus 0,4 Prozent (noch) auf der Seite der Gewinner. (ag./gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2018)

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