Laut einer Empfehlung des Generalanwalts des obersten EU-Gerichts kann London seine Austrittsankündigung bis zum Abschluss des Austrittsabkommens rückgängig machen. Die Richter müssen ihr Urteil in dem Rechtsstreit jedoch erst noch sprechen.
Ein Schlupfloch für Großbritannien tut sich auf, wenn es den Brexit doch noch vermeiden will. Nach Einschätzung eines Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) könnte London den geplanten Austritt einseitig zurücknehmen. Diese Möglichkeit bestehe bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Austrittsabkommens Ende März, stellte Campos Sanchez-Bordona laut einer Mitteilung des EuGH fest.
Die EU und Großbritannien haben sich im November auf ein Austrittsabkommen geeinigt. Es ist unsicher, ob das britische Parlament dem Deal zustimmt. Die Abstimmung darüber ist für den 11. Dezember vorgesehen. Am Dienstag begann im Unterhaus eine fünftägige Debatte über das Austrittsabkommen. Damit das Brexit-Abkommen in Kraft tritt, muss auch noch das EU-Parlament zustimmen. Großbritannien verlässt planmäßig am 29. März die EU.
Der Generalanwalt empfiehlt dem EuGH die Feststellung, dass der für den Austritt relevante Artikel 50 des EU-Vertrags es zulasse, die Mitteilung der Austrittsabsicht einseitig zurückzunehmen. Dafür gebe es jedoch bestimmte Bedingungen. Erstens müsse der Rücktritt vom Brexit, wie die Austrittsabsicht, dem Europäischen Rat förmlich mitgeteilt werden. Zweitens müssten die innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Das bedeute, wenn in Großbritannien die Zustimmung des Parlaments eine Vorbedingung für die Austrittsabsicht sei, müsse dies logischerweise auch für die Rücknahme dieser Mitteilung gelten.
Brexit-Gegner dringen auf zweites Referendum
Damit können schottische Brexit-Gegner einen ersten Erfolg vor dem obersten EU-Gericht verbuchen. Sie dringen auf eine zweite Volksabstimmung, mit der die Briten für einen Verbleib in der EU stimmen könnten.
Für den Rest der EU ist diese Rechtsmeinung ein Rückschlag. Der Generalanwalt weist nämlich die von der EU-Kommission und vom EU-Rat vertretene Auffassung zurück, dass der EU-Vertrag nur eine vom Europäischen Rat einstimmig beschlossene Rücknahme zulasse. Es wäre mit Artikel 50 unvereinbar, die Rücknahmemöglichkeit von einem einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates abhängig zu machen.
Ein Urteil in dem Rechtsstreit (187/18) wird demnächst erwartet. Der EuGH ist an die Empfehlungen seiner Generalanwälte nicht gebunden. Üblicherweise folgen die EU-Richter dem Generalanwalt aber in etwa vier von fünf Fällen.
(APA/Reuters)