Parlamentswahl: Armenischer Balanceakt

Nikol Paschinjan bei der Abgabe seiner Stimme in Jerewan.
Nikol Paschinjan bei der Abgabe seiner Stimme in Jerewan.(c) REUTERS (STRINGER)
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Favorit Nikol Paschinjan gewinnt die Parlamentswahl mit 70 Prozent der Stimmen. Geopolitisch muss die Südkaukasusrepublik weiter sorgfältig austarieren.

Jerewan/Moskau. Wenn armenische Politiker über die Außenbeziehungen ihres Landes sprechen, dann fallen stets zwei Begriffe: „Partner“ und „Verbündeter“. Mit dem Ausdruck Partner ist der Westen gemeint. Mit Verbündeter – Russland.

Diese grundsätzliche Orientierung stellt der Sieg von Nikol Paschinjans Allianz Mein Schritt bei der Parlamentswahl am Sonntag nicht infrage. Paschinjans Allianz gewann die Wahl mit mehr als 70 Prozent der Stimmen. Die Plätze zwei und drei entfielen auf die proeuropäische Partei "Aufgeklärtes Armenien" und die Partei "Blühendes Armenien". Die bisherige Regierungspartei, die Republikaner, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr im nächsten Parlament vertreten sein. Das Endergebnis wird am Montag erwartet. Der Urnengang verlief ruhig. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 49 Prozent - ein Schatten auf dem eindeutigen Ergebnis.

Unmittelbar nach dem von Paschinjan angeführten Volksaufstand im Frühling 2018 waren beim Moskauer Verbündeten durchaus Irritationen zu spüren. „Farbrevolutionen“ in der Nachbarschaft lehnt man ab. Es gehe nur um interne Angelegenheiten, betonte Jerewan stets, nicht um einen geopolitischen Kurswechsel. Der Kreml traute dem nicht. „Moskau weiß nicht, wie es reagieren soll, wenn in seiner Nachbarschaft eine Revolution passiert, die nicht antirussisch ist“, sagt ein armenischer Topbeamte der „Presse“.

Seit Paschinjans Machtübernahme knirscht es im Gebälk der Bündnispartner. Etwa im von Russland geführten Militärbündnis OVKS. Dort ist ein Streit um den Spitzenposten entbrannt. Jerewan hat seinen Generalsekretär, Jurij Chatschaturow, wegen seiner Rolle in der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten 2008 abberufen. (Auch gegen Ex-Präsident Robert Kotscharjan wurden Ermittlungen aufgenommen; er sitzt erneut in U-Haft.) Welcher Staat nun bei der OVKS den Nachfolger nominieren darf, ist strittig. Jerewan erhebt Anspruch auf den Posten. Autokratische Bündnispartner wie Belarus oder Kasachstan wollen dem Vernehmen nach den Einfluss des „demokratischen“ Armenien in der OVKS begrenzen.

„Welt ist nicht schwarz-weiß“

Armenien wird seine bestehenden Kooperationen mit Russland weiterführen. Das Verhältnis zu Moskau sei „sehr wichtig“, aber man habe auch noch andere Partner, erklärt der amtierende Außenminister, Zohrab Mnazakanjan, Jerewans Position. „Unsere Welt ist nicht schwarz-weiß. Wir können es uns nicht leisten, Beziehungen mit einem Partner zulasten eines anderen zu haben.“

Armeniens Außenbeziehungen werden künftig noch mehr zu einem Balanceakt. Während in militärischer Hinsicht Russland Schutzmacht bleibt, ist die Lage im Geschäftsleben flexibler. Das Land ist zwar Mitglied in der Eurasischen Union. Mit der EU hat man seit 2017 ein Partnerschaftsabkommen, das eine starke wirtschaftliche Dimension hat. Paschinjans Regierung wird sich aktiver um eine ökonomische Öffnung gegenüber EU-Staaten und West-Investoren bemühen, schätzen viele Beobachter. Die neuen Eliten sind jünger, offener. Vor allem aber müssen sie den Lebensstandard der Bürger verbessern: Es war das wichtigste Wahlversprechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2018)

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