Klimaziel als Schock für Autobauer

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2030 muss die Neuwagenflotte eines Herstellers um 37,5 Prozent weniger CO2 aus-stoßen, als 2021. Die Industrie hält das für unrealistisch, Umweltverbänden geht es zu wenig weit.

Wien/Brüssel. Wer Autos und den Klang von Motoren liebt, der sollte bald zum Händler gehen: Acht Zylinder mit ihrem brabbelnden Sound wird es bei den großen Herstellern vermutlich bald nicht mehr geben, und auch sechs Zylindern gehören wohl zu einer aussterbenden Rasse. V8-Motoren wird man wahrscheinlich nur noch in Ferraris und Lamborghinis finden, weil für diese Hersteller mit ihren geringen Stückzahlen großzügigere CO2-Abgasvorschriften gelten.

Alle anderen Autobauer haben seit Montagnacht ein Problem: Sie müssen den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenflotte bis zum Jahr 2030 dramatisch senken – und zwar um 37,5 Prozent im Vergleich zu den Abgaswerten des Jahres 2021. Auf diese Zahl einigten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments unter Vorsitz von Österreichs Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Welche Verbrauchswerte Neuwagen damit 2030 genau erreichen müssen, kann man derzeit noch nicht sagen, weil zur Berechnung unterschiedliche Methoden herangezogen werden (für die Ziele von 2021 gilt der NEF-Zyklus, für 2030 der WLTP-Fahrzyklus). Aber bereits 2021 darf ein neuer Verbrennungsmotor im Schnitt nur noch 3,5 bis vier Liter Diesel oder Benzin auf 100 Kilometer benötigen.

Klar ist, dass die Autobauer die Vorgaben für 2030 nur mit einem sehr hohen Anteil an emissionsfreien Fahrzeugen erreichen können (also reine Elektroautos oder Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb und Brennstoffzelle). Wie hoch der Anteil sein wird müssen, variiert je nach Autobauer. Für den Volkswagen-Konzern nannte gestern aber bereits Konzernchef Herbert Diess eine eher fantastische Zahl: Elektroautos müssen in etwas mehr als elf Jahren 40 Prozent Anteil am Gesamtabsatz haben.

Kritik von Umweltschützern

Für die Autobauer ist die nächtliche Einigung ein Schock, weil sie – massiv unterstützt von der deutschen Bundesregierung – mit einer Reduktion von 30 Prozent gerechnet hatten.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung PA Consulting werden sich die Hersteller schon schwer tun, die Vorgaben für 2021 zu erreichen (siehe Grafik). Acht von 13 Herstellern werden die Ziele laut der Untersuchung verfehlen und müssen in der Folge mit hohen Strafzahlungen rechnen. Allein Volkswagen könnten 1,4 Milliarden Euro drohen, Fiat-Chrysler müsse wegen einer Abweichung von 6,7 Gramm CO2 pro Kilometer 700 Millionen Euro budgetieren.

„Diese Regulierung fordert zu viel und fördert zu wenig“, meinte der Präsident des deutschen Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, zu der EU-Einigung. „Niemand weiß heute, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit erreicht werden können.“ Nirgends sonst gebe es ähnlich strikte CO2-Ziele. Somit werde Europas Autoindustrie im internationalen Wettbewerb belastet. Der europäische Herstellerverband Acea äußerte sich ähnlich: „Eine CO2-Minderung um 37,5 Prozent zu liefern, mag sich plausibel anhören, aber gemessen am heutigen Stand ist es völlig unrealistisch.“

Auf der anderen Seite kritisierte die Umweltschutzorganisation Global 2000 den Kompromiss als „zu ambitionslos“. Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, hätte es eine „viel stärkere Reduktionen von mindestens 70 Prozent“ gebraucht, was „technisch machbar und notwendig“ sei, hieß es in einer Aussendung.

Zurückhaltend äußerten sich die heimischen Verkehrsclubs. Der ebenfalls vorgegebene Zwischenschritt einer Einsparung von 15 Prozent CO2 bis 2025 sei wenig ambitioniert. Die für 2030 vorgesehene Reduktion hingegen sei möglicherweise überambitioniert, hieß es seitens des ÖAMTC. Der VCÖ sieht die Einigung zwar als „wichtigen Schritt zum Klimaziel und zur Reduktion des realen Spritverbrauchs“. Allerdings müssten rasch weitere folgen, da der tatsächliche Spritverbrauch in Österreich seit dem Jahr 2000 kaum gesunken sei.

„Sehr ambitioniert“

Skeptisch äußerte sich auch der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). „Wir waren von Anfang an für realistische Grenzwerte, die man auch erreichen kann“, sagte er. Die Werte seien „sehr ambitioniert“ – aber letztlich ein Kompromiss. Dennoch betonte er: „Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass wir – wenn auch mit Bedenken und mit Sorgen – diesen Kompromiss versuchen umzusetzen.“ (red./ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2018)

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