Das Experiment bei Cern hat nicht nur physikalische, sondern auch – rätselhaft hohe – emotionale Energien mobilisiert.
Als die Nachrichtenwelt gestern um 13.01 Uhr von einem präzedenzlosen „Weltrekord“ erschüttert wurde – der Cern-Beschleuniger hatte Teilchen mit so hoher Energie wie noch nie zur Kollision gebracht –, blieb die materielle Welt unbeeindruckt, sie verschwand nicht in einem schwarzen Loch. Kritiker des Experiments hatten das befürchtet und die Ängste so weit über alle Grenzen getrieben, wie es die Betreiber des Experiments mit den Hoffnungen und Erwartungen getan hatten: Die „Urknallmaschine“ werde endlich weisen, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Dass ein simples physikalisches Experiment derartige emotionale Energien freisetzen kann, ist mindestens so spannend wie das Experiment selbst. Natürlich ist es kein simples Experiment, sondern das größte und aufwendigste je durchgeführte, und natürlich hat es höchst interessante Fragestellungen; es soll etwa klären, woraus die dunkle Materie besteht und was ihr und der sichtbaren Masse verleiht (Higgs!).
Aber unser Leben wird das nicht weiter tangieren, und bei den großen Fragen nach dem Woher und Wohin wird es auch eher wenig helfen. Warum zieht dann just eine Maschine in ihren Bann, warum fährt ein Exemplar der Großtechnik, die lange vergöttert und dann verteufelt wurde, plötzlich wieder gen Himmel – bis hinauf zum „Gottesteilchen“? Es ist rätselhaft. Steht die Hybris wieder auf, wir könnten alles? Oder drängt die Sinnsuche, die von den alten Orakeln abgekommen ist, hin zu neuen? (Bericht: Seite 23)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2010)