„Gewaltexzesse“ wühlen Berlin auf

Die Polizei geht von einem gezielten Anschlag auf Migranten aus.
Die Polizei geht von einem gezielten Anschlag auf Migranten aus.APA/dpa/Marcel Kusch
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Ein 50-Jähriger macht mit seinem Pkw Jagd auf Migranten; Asylwerber prügeln Passanten: Zwei Verbrechen zu Jahresbeginn lösen heftige politische Debatten aus.

Bottrop/Amberg. 100 Jahre Bottrop wollten sie diese Woche feiern. Doch der Bürgermeister sagte das Fest wegen der „fürchterlichen Ereignisse“ ab, die den Jahresauftakt in der Ruhrpott-Stadt überschattet haben. In Bottrop und dem benachbarten Essen war ein 50-Jähriger mit seinem Pkw in mehrere Fußgängergruppen gefahren. Die Polizei geht von einem gezielten Anschlag auf Migranten aus. Die Zahl der Verletzten wurde am Mittwoch von fünf auf acht korrigiert. Der Verdächtige, Andreas N., sitzt wegen mehrfachen versuchten Mordes in U-Haft. Auch im bayrischen Amberg platzte ein Verbrechen in die Silvesterfeierlichkeiten: Dort prügelten betrunkene Asylwerber wahllos auf Passanten ein. Die beiden Vorfälle lösten die erste politische Debatte des Jahres 2019 aus.

1. Was ist in Essen und Bottrop passiert?

In der Silvesternacht verwandelt Andreas N. seinen silberfarbenen Mercedes in eine Waffe. An insgesamt vier Schauplätzen in Bottrop und Essen fuhr der 50-Jährige auf Menschengruppen zu. Videoaufnahmen zeigen, wie er seinen Pkw kurz vor Passanten beschleunigt: Ein Mann wird von der Motorhaube geworfen; eine Frau springt im letzten Moment zur Seite. Der fatalste Angriff erfolgt kurz nach Mitternacht auf dem Berliner Platz in Bottrop. Eine 46-Syrerin schwebte danach zwischenzeitlich in Lebensgefahr. Sie musste notoperiert werden. Auch ihr Mann (48) und die beiden Töchter (16, 17) wurden verletzt. Unter den Opfern sind zwei weitere Kinder, eine zehnjährige Syrerin und ein vierjähriger Afghane. Andere kamen mit dem Schrecken davon, darunter Wartende an einer Essener Bushaltestelle, die gleichfalls ins Visier des Deutschen geraten waren.

2. Was weiß man über den Attentäter und sein Motiv?

Derzeit deutet alles auf Fremdenhass als zentrales Motiv hin: Andreas N. machte Jagd auf Ausländer. Der 50-Jährige sagte einem Bericht des „Spiegel“ zufolge, die vielen Ausländer in Deutschland seien „ein Problem“, das er „lösen“ wolle. Nordrhein-Westfalens Innenminister, Herbert Reul (CDU), erklärte, der Verdächtige mache „Ausländer für alles verantwortlich“ und habe die „klare Absicht“ gehabt, sie zu töten.

Andreas N. stammt aus Essen. Unbestätigten Berichten zufolge war er zuletzt arbeitslos und Hartz-IV-Empfänger. Vorstrafen hatte der Mann genauso wenig wie Kontakte in rechtsextreme Netzwerke. Die Polizei hat jedoch Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Ob er zuletzt in Behandlung war, blieb offen. Eine psychische Erkrankung und ein terroristisches Motiv schließen einander freilich nicht aus, wie die Biografien mehrerer islamistischer Attentäter zeigen. Die für Terroranschläge zuständige Bundesanwaltschaft prüft, ob sie den Fall übernimmt.

3. Was ist im bayrischen Amberg passiert?

In der rund 40.000 Einwohner zählenden Gemeinde in der Oberpfalz hatten alkoholisierte Asylwerber aus Afghanistan, Syrien und dem Iran wahllos und über Stunden auf Passanten eingeprügelt. Tatorte waren der Bahnhof und die Altstadt. Zwölf Menschen wurden verletzt, die meisten davon leicht. Eine Person musste mit einer Kopfverletzung über Nacht im Krankenhaus bleiben. Über die vier Verdächtigen – 17 bis 19 Jahre alt – wurde U-Haft wegen gefährlicher Körperverletzung verhängt.

4. Wie reagierte die deutsche Bundespolitik auf die Vorfälle?

Die Bundesregierung nannte die Verbrechen in Amberg und Bottrop/Essen in einem Atemzug. Man habe beide Taten „mit Bestürzung zur Kenntnis genommen“, teilte eine Regierungssprecherin mit. Es gebe in Deutschland keinen Platz für Extremismus und Intoleranz, egal, von welcher Seite, hieß es. Der CSU-Innenminister Horst Seehofer verurteilte gleichfalls beide Taten scharf. Konsequenzen wollte er aber nur aus den Übergriffen der Asylwerber ziehen: „Die Ereignisse in Amberg haben mich sehr aufgewühlt. Das sind Gewaltexzesse, die wir nicht dulden können“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Und weiter: „Wenn Asylbewerber Gewaltdelikte begehen, müssen sie unser Land verlassen.“ Notfalls müsse man eben die Gesetze ändern.

Damit trat Seehofer eine unionsinterne Debatte über neue Abschiebebestimmungen los. Widerspruch kam aus Nordrhein-Westfalen, jenem Bundesland, in dem sich der Pkw-Anschlag ereignet hatte: „Eine Gesetzesverschärfung allein bringt es ja nicht“, sagte Innenminister Reul. Der Staat müsse dafür sorgen, „dass die Gesetze, die wir haben, auch eingehalten werden“. (red./ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2019)

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