Neue US-Kehrtwende in Syrien löst Spannungen mit Türkei aus

Trumps Sicherheitsberater John Bolton betonte am Sonntag, der US-Rückzug beginne erst, wenn der IS besiegt sei und ein Schutz für die syrischen Kurden bestehe.
Trumps Sicherheitsberater John Bolton betonte am Sonntag, der US-Rückzug beginne erst, wenn der IS besiegt sei und ein Schutz für die syrischen Kurden bestehe.(c) APA/AFP/NICHOLAS KAMM
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US-Sicherheitsberater Bolton wird am Dienstag zu schwierigen Gesprächen in Ankara erwartet. Erdoğans Eroberungspläne sind vertagt.

Istanbul. Drei Wochen nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die amerikanischen Soldaten aus Syrien abzuziehen, leitet Washington eine erneute Kehrtwende ein – zum Ärger der Türkei. Äußerungen hochrangiger Trump-Berater laufen darauf hinaus, dass die US-Truppen trotz des verkündeten Rückzuges bis auf weiteres in Syrien bleiben sollen. Washington will damit unter anderem die syrischen Kurden vor einem Angriff der Türkei schützen. Auch die neue Rolle, die der Türkei im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zugedacht ist, steht in Zweifel. Auf die US-Delegation, bestehend aus Sicherheitsberater John Bolton, Generalstabschef Joseph Dunford und Syrien-Beauftragten James Jeffrey, warten am Dienstag in Ankara schwierige Gespräche.

Trump hat die Entscheidung zum Truppenabzug im Dezember in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gefällt. In dem Gespräch sagte Erdoğan laut Medienberichten zu, dass die türkische Armee nach dem Abzug der 2000 US-Soldaten aus Syrien die Bekämpfung des IS dort übernehmen werde.

Der in den USA selbst und auch in Europa heftig kritisierte Abzugsbefehl hatte insbesondere die syrische Kurdenmiliz YPG in eine schwierige Lage gebracht: Die YPG, der wichtigste Partner der USA im Kampf gegen den Islamischen Staat, wird von der Türkei als Terrororganisation betrachtet. Ohne den Schutz der US-Soldaten wären die Kurden einem Einmarsch der Türken ausgeliefert, die bereits Truppen an der Grenze zusammengezogen hat.

Nun rudert Washington zurück. US-Außenminister Michael Pompeo sagte, die USA wollten weiter verhindern, dass die Türkei die Kurden „abschlachtet“. Trumps Sicherheitsberater John Bolton betonte am Sonntag, der US-Rückzug beginne erst, wenn der IS besiegt sei und ein Schutz für die syrischen Kurden bestehe. In einem Hintergrundgespräch für Reporter in Washington fügte ein hochrangiger Mitarbeiter Pompeos laut Medienberichten hinzu, vorerst sollten die US-Soldaten bleiben, wo sie sind: „Wir gehen nirgendwohin.“ Pompeo bricht diese Woche ebenfalls zu einer Reise nach Nahost auf, um Amerikas Verbündete in der Region nach Trumps Hakenschlagen zu beruhigen.

Mit der fortgesetzten Rückendeckung für die YPG wollen die USA nicht nur unterstreichen, dass auf sie als Partner Verlass ist. Sie wollen außerdem verhindern, dass die Kurdenmiliz rund 2000 gefangene IS-Kämpfer und Familienangehörige in ihrem Herrschaftsgebiet freilässt: Die YPG fordert seit Langem, westliche Länder sollten ihre Staatsbürger unter den Häftlingen zurücknehmen – ein türkischer Angriff auf die YPG könnte die Kurden dazu veranlassen, die Insassen der Internierungscamps freizulassen. Heimkehrende IS-Mitglieder könnten in Europa und den USA Terroranschläge verüben.

Pufferzone im Norden des YPG-Gebiets?

Für die Türkei ist die neue Wende der USA eine schlechte Nachricht. Ankara hatte nach Trumps Ankündigung darauf gesetzt, das YPG-Autonomiegebiet entlang der türkischen Grenze in Nordsyrien mit einer Militärintervention zerschlagen zu können. Eine dauerhafte Präsenz amerikanischer Soldaten in dem Gebiet würde eine Großoffensive aber unmöglich machen, da die Türkei die militärische Konfrontation mit den US-Soldaten nicht riskieren will. Boltons Hinweis auf den Schutz für die syrischen Kurden unterstreicht, dass sich die Türkei im Norden Syriens zunächst wohl zurückhalten muss.

Laut türkischen Medienberichten besteht eine mögliche Lösung in der Errichtung einer US-patrouillierten Pufferzone auf der syrischen Seite der Grenze, aus der die YPG abziehen müsste. Dies wäre ein großer militärischer Mehraufwand für die USA.

Auch andere Pläne Erdoğans geraten ins Wanken. US-Medien berichten, dass Washington die Zusage der Türkei zur Bekämpfung des IS in Syrien skeptisch sieht. Ankara verfügt demnach nicht über die nötigen militärischen Ressourcen, um die Jihadisten in deren letztem Rückzugsgebiet rund 200 Kilometer südlich der türkischen Grenze anzugreifen. Allein in der zweiten Dezemberhälfte griffen USA und YPG laut US-Militärangaben fast 500 Mal die IS-Stellungen an – eine solche Größenordnung traut Amerika der Türkei und deren syrischen Verbündeten nicht zu. Türkische Bitten um Hilfe der USA bei künftigen Angriffen auf den IS werden in Washington bisher ignoriert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2019)

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