Zwei Kinogiganten im Clinch

Federico Fellinis „La dolce vita“ (mit Marcello Mastroianni, Anouk Aimée) aus dem Jahr 1960 ist am 19. Jänner im Wiener Filmmuseum zu sehen.
Federico Fellinis „La dolce vita“ (mit Marcello Mastroianni, Anouk Aimée) aus dem Jahr 1960 ist am 19. Jänner im Wiener Filmmuseum zu sehen.(c) Filmmuseum
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Das Österreichische Filmmuseum zeigt die Werke von Federico Fellini und Ermanno Olmi. Der eine war Leinwandmagier, der andere Christ und Realist – und beide Renegaten.

Italien wird oft als Land mit zwei Gesichtern beschrieben: zwischen Elend und Exzess, Demut und Dekadenz, Frömmigkeit und Vergnügungssucht. Das spiegelt sich auch im Blick der Filmgeschichte auf das italienische Kino wider: hier die Hingabe an authentische Wirklichkeitsdarstellung, dort der Hang zum Karnevalesken, Spektakulären, Verstiegenen. Kaum ein Gegensatzpaar fasst diesen Widerspruch besser als Federico Fellini und Ermanno Olmi, denen das Österreichische Filmmuseum bis Ende Februar eine vergleichende Werkschau widmet.

Zugpferd ist freilich Fellini: einer der wenigen Regisseure, die sich einen dauerhaften Platz im globalen Hochkulturkanon gesichert haben. Seine berühmteste Schaffensperiode überlappte sich mit der Zeit, in der sich der Künstlergeniekult auch im Kino durchzusetzen begann – und Fellini war ein „Auteur“ par excellence. Er folgte konsequent seinen Obsessionen, machte sie zum Thema seiner Arbeiten, deren barocke Opulenz stetig zunahm.

Doch die Verkultung des „Fellinesken“, die sich auch dem Einsatz renommierter Fans wie Woody Allen verdankt, tut dem vielschichtigen Werk des in Rimini Geborenen kaum Genüge. Wer den späten Fellini als Direktor eines weltfernen Fantasiezirkus brandmarkt, vergisst seine neorealistischen Wurzeln. Etwa seine Beteiligung am Drehbuch von Roberto Rossellinis Nachkriegsklassikern „Roma città aperta“ und „Paisà“ – aber auch die Volksverbundenheit der frühen Lumpenparabeln, die er mit seiner damaligen Gattin Giulietta Masina realisierte.

Darunter der internationale Durchbruch „La strada“: Schon diese märchenhafte Wanderschaustellergeschichte wurde von Zeitgenossen als Verrat an den politischen Idealen des Neorealismus gesehen. Giuseppe De Santis, ein Vordenker der neorealistischen Idee, klagte später über die zahlreichen geistigen Kinder von „Vater Fellini“ – und über den Mangel an Erben, die sein eigener Zugang hervorgebracht hatte.

Dabei machte parallel zu Fellinis Aufstieg zum Starregisseur ein Filmemacher auf sich aufmerksam, dessen Fokus anderswo lag: Ermanno Olmi. Er porträtierte das Leben von Arbeitern und Angestellten mit großer Zärtlichkeit – und einer erstaunlichen Beobachtungsgabe, die er sich als Produzent von Industriedokus für das Mailänder Elektrizitätswerk Edison-Volta angeeignet hatte. Ob es nun um den Alltag eines Laufburschen ging („Il posto“, 1961) oder um einen Schweißer, der seine Verlobte für einen Job in Sizilien hinter sich lässt („I fidanzati“, 1963): Stets ließ Olmi Gesten und Gesichter für sich sprechen. Dass seine Filme frei waren vom Pathos und ideologischen Furor vergleichbarer Vorgänger, stieß selbigen sauer auf.

Nichts fällt leichter, als Fellini und Olmi gegeneinander auszuspielen. Exemplarisch der Kontrast zwischen ihren bekanntesten Werken, „La dolce vita“ (1960) und „L'albero degli zoccoli“ (1978), beides dreistündige Epen. Auf der einen Seite Mastroianni als Paparazzo und zweifelnder Intellektueller, Glanz und Elend des Wirtschaftswunders, Anita Ekberg im Trevi-Brunnen. Auf der anderen das geduldige Sittengemälde einer Bauernfamilie aus dem späten 19. Jahrhundert, ihr ruhiges Leben im Einklang mit der Natur, Laiendarsteller vor kargen Kulissen.

Die Erben: Sorrentino, Rohrwacher

Dennoch ist jeder dieser Filme der Ausdruck einer sehr spezifischen Weltsicht. Fellini filtert Rom durch seine individuelle Wahrnehmung, während Olmis Zeitreise auf Kindheitserinnerungen und Memoiren seiner Großmutter gründet. Obwohl Letztere in Cannes mit der Goldenen Palme prämiert wurde, stieß ihr Humanismus auf Kritik: Manche sahen darin eine christlich unterfütterte Apologie feudaler Unterdrückungsverhältnisse. Aus seinem Glauben machte Olmi nie einen Hehl, mit „E venne un uomo“ (1965) setzte er Papst Johannes XXIII. ein Denkmal. Auch in der Joseph-Roth-Verfilmung „Die Legende vom heiligen Trinker“ (1988, mit Rutger Hauer) scheint das Spirituelle durch. Für Olmi die Grundlage eines Grundrespekts vor dem Menschen – und einer resoluten Antikriegshaltung, die er in „Il mestiere delle armi“ (2001) artikulierte.

Beide Filmemacher gingen ihren Weg jenseits von Modeerscheinungen, beide haben heute Nachfolger gefunden. Paolo Sorrentinos grellbunter Großerfolg „La grande bellezza“ ist im Grunde eine Coverversion von „La dolce vita“. Der erst vergangenes Jahr verstorbene Olmi inspiriert vor allem eine jüngere Regiegeneration: Alice Rohrwachers „Lazzaro felice“, der 2018 die Viennale eröffnete, nimmt direkte Anleihen bei „L'albero degli zoccoli“.

Natürlich schafft die Gegenüberstellung Olmis und Fellinis keinen Schulterschluss. Doch sie zeigt auf, dass sich Realismus und Fantasie, Außen- und Innenschau nicht widersprechen – es kommt auf die Auslegung der Begriffe an. Die Haremsszene aus „8 ½“, in der ein Regisseur davon träumt, von den Liebschaften seines Lebens umhätschelt zu werden, mag ein Gaukelbild sein – ehrlichen, unschmeichelhaften Einblick in die Dynamiken einer narzisstischen Männerseele gewährt es trotzdem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2019)

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