Clint Eastwood als ältester Drogenkurier der Welt

Ein alter weißer Zausel ohne Vorstrafen (Clint Eastwood) gerät nicht so schnell unter Verdacht. Gute Voraussetzungen, um Drogen zu schmuggeln.
Ein alter weißer Zausel ohne Vorstrafen (Clint Eastwood) gerät nicht so schnell unter Verdacht. Gute Voraussetzungen, um Drogen zu schmuggeln.(c) Warner Bros.
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Im Mai wird Clint Eastwood 89 Jahre alt. In seinem jüngsten Film „The Mule“ spielt er einen Greis im Dienste des Kartells – dass das wunderliche Spätwerk berührt, liegt an der Aura des Stars.

Im Grunde dankt Clint Eastwood schon seit 30 Jahren ab. Als Markstein seiner Regiekarriere gilt der ruppige Spätwestern „Erbarmungslos“; darin gab er einen Revolverhelden im Ruhestand, der sich notgedrungen zum letzten Abenteuer aufrafft: Ein Abgesang auf die Mythen und Ikonen des Westerngenres, zu denen Eastwood selbst gehört. Das war 1992. Seither schlüpfte die lebende Legende immer wieder in die Rolle des aus der Zeit gefallenen „Oldtimers“, der neu gestartet werden muss – sei es nun als Astronaut („Space Cowboys“) oder FBI-Agent („Blood Work“), sei es als Baseballtalentsucher („Trouble with the Curve“). Dann erscheint Eastwood als ambivalentes Symbol der Rentnergenerationen Amerikas: abgehärmt und grantig zwar, aber auch bodenständig und mit intaktem Moralkompass.

Man muss geriatrische Ungustl nicht mögen, mahnen diese Figuren, aber man kann einiges von ihnen lernen. Freilich spielt Eastwood hier mit seinem eigenen Image als widerborstiger Hollywood-Veteran, der sich politisch nicht vereinnahmen lässt – und ab und zu mit kontroversen Aussagen für Aufsehen sorgt. Sein Sonderstatus macht ihn zum Mittler zwischen konservativen und progressiven Zuschauern in den USA: In „Gran Torino“ spielte er einen Zyniker, der auf „Schlitzaugen“ schimpft – sich dann aber mit einem asiatischstämmigen Jugendlichen anfreundet. Am Schluss opfert er sich für den Jüngeren.

Eastwood selbst denkt indes nicht ans Aufhören: Nach wie vor kommt der 88-Jährige auf etwa eine Regiearbeit im Jahr, viele davon erreichen weiterhin ein breites Publikum. Dabei zieht es den Unermüdlichen verstärkt zu „wahren Geschichten“ – und für sein jüngstes Werk hat er eine gefunden, die ihm wie auf den Leib geschneidert scheint.

„The Mule“ basiert auf einem „New York Times“-Artikel über einen Weltkriegsveteranen und Gärtner, der mit Ende achtzig begonnen hat, als Kurier für ein mexikanisches Drogenkartell zu arbeiten. Dass Eastwood ihn selbst spielt, überrascht nicht: Es braucht nur wenig Make-up, um seinem Antlitz greisen Anschein zu verleihen. Earl Stone heißt dieser angegraute Workaholic, dessen Berufsversessenheit ihn seiner Familie entfremdet hat: Wenn seine Tochter (gespielt von Eastwoods eigener Nachfahrin Alison) ihn erblickt, sucht sie sofort das Weite, auch seine Exfrau (Dianne Wiest) ist nicht gut auf ihn zu sprechen. Nur die Enkelin (Taissa Farmiga) hat ihren Opa gern.

Sein Deckname ist Tata

Bei deren Hochzeit wird Earl von einem Zaungast gefragt, ob er eine Beschäftigung suche. Er sagt zu – und wird an eine Adresse verwiesen, wo tätowierte Waffenträger verdächtige Päckchen in seinem Kofferraum deponieren. Diese soll er durch Illinois schmuggeln: Als netter weißer Zausel ohne jegliche Vorstrafen befindet er sich im toten Winkel der Polizei. Die Bezahlung stimmt, und Earl hat nichts zu verlieren: Warum also nicht? Schnell gewöhnt er sich an seinen Job, den er mit der Gelassenheit des Alters und Dean Martin im Ohr verrichtet. Schon bald gilt er als bester Bote des Kartells, Deckname Tata. Dass die Exekutive (vertreten durch Bradley Cooper, Michael Peña und Laurence Fishburne) ihm bereits auf den Fersen ist, weiß er nicht.

Dieses wunderliche Szenario bietet reichlich Stoff für Spannung. Doch Eastwood ist kaum an den Thriller-Aspekten der Story interessiert, für ihn ist „The Mule“ primär ein menschelndes Seniorenporträt. Der wenig glaubwürdige, aber sympathische Clou dabei ist, dass sich alle von Earls nonchalantem Charme erweichen lassen. Zunächst ärgern sich seine hartgesottenen Gangsteraufpasser, dass er von vorgegebenen Routen abweicht, um sich „das beste Pulled-Pork-Sandwich des mittleren Westens“ zu gönnen. Doch irgendwann schließen sie ihn und seine Marotten ins Herz.

Um so etwas wie eine konsistente Atmosphäre kümmert sich Eastwood, wie schon in seinem Terrordrama „The 15:17 to Paris“, nicht. „The Mule“ verläuft episodisch wie ein Road-Trip. Einmal darf Earl auf die Übel der modernen Welt (Smartphones und Internet) schimpfen, einmal die Diversität Amerikas zur Kenntnis nehmen. Einer Gruppe „Dykes on Bikes“, sprich „Lesben auf Motorrädern“, hilft er ebenso aus der Pannenpatsche wie einem afroamerikanischen Pärchen, das ihn höflich darum bittet, von der Verwendung des Wortes „negro“ abzusehen. Schwer vorstellbar, dass sich jemand anderes als Eastwood heutzutage erlauben könnte, politische Themen mit ähnlicher Naivität anzuschneiden.

Im Kern gründet die bescheidene Kraft, die der Film aufzubringen vermag, fast vollständig auf der Präsenz des Regisseurs vor der Kamera. Die rührselige Läuterungsmoral, auf die das Ganze zusteuert (hätte sich Earl nur mehr um seine Familie gekümmert!) könnte ohne die Aura des Stars nicht im Ansatz bestehen. So blickt man jedoch in Clints zerfurchtes Gesicht, gedenkt seines bewegten Lebens und zerdrückt eine heimliche Träne. Dass „The Mule“ tatsächlich seine letzte Arbeit sein muss, hat freilich niemand behauptet: Ein-, zweimal abdanken, das geht noch leicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2019)

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