US-Außenminister Pompeo kündigt an, dass die USA dem INF-Vertrag den Rücken kehren. Grund sind neue atomare Marschflugkörper Russlands, die nahezu alle Hauptstädte Europas erreichen könnten.
"Schamlos" hätte sich Russland dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) widersetzt. Deshalb hätten die USA beschlossen, den Vertrag nicht weiter befolgen zu wollen. Worüber schon länger spekuliert worden war, bestätigte US-Außenminister Mike Pompeo am Freitag. Demnach fühlen sich die USA ab diesem Samstag nicht mehr an die Vertragsbedingungen gebunden. Pompeo verwiesen aber auch darauf, dass der Vertrag erst in sechs Monaten endgültig auslaufe.
Bis dahin habe Russland weiter die Möglichkeit, zu den Bedingungen des Abkommens zurückzukehren. Die USA seien bereit, weiterhin mit Russland über die Rüstungskontrolle zu verhandeln.
Die Vereinigten Staaten informierten hatten am Donnerstag bereits die Verbündeten in der Nato über ihr Vorhaben, hieß es in Medienberichten. Pompeo dankte der Nato in seinem Statement am Freitag ausdrücklich für den Zusammenhalt in dieser Frage. In einer am Freitag veröffentlichten Erklärung des Nordatlantikrats heißt es, die Verbündeten unterstützten den Schritt der USA uneingeschränkt.
Konflikt mit Russland
Die Begründung für die geplante Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA sind neue russische Marschflugkörper mit der Bezeichnung 9M729 (Nato-Code: SSC-8). Sie stellen nach Auffassung der USA einen eindeutigen Bruch des Abkommens dar.
Die Mitteilung der Amerikaner kam einen Tag vor dem Ablauf der gesetzten 60-Tages-Frist in dem Streit. Russland hatte allerdings bereits in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich gemacht, dass es die US-Vorwürfe für haltlos erachtet und nicht daran denkt, seine Marschflugkörper zu vernichten.
Nach russischen Angaben haben die 9M729 eine Reichweite von maximal 480 Kilometern. Die USA gehen hingegen von mindestens 2600 Kilometern aus. Damit könnten die Marschflugkörper nahezu alle Hauptstädte in Europa treffen.
Muss Europa atomar aufrüsten?
Der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) war 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen worden. Er verpflichtet beide Seiten zum Verzicht auf landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern. Zugleich untersagt er auch die Produktion und Tests solcher Systeme.
Für Europa ist das Aus für den INF-Vertrag hochbrisant, weil es in Folge aller Voraussicht nach eine Diskussion über eine mögliche atomare Aufrüstung in Europa geben dürfte. Nach Auffassung von Militärs ließen sich nämlich nur so langfristig ein strategisches Gleichgewicht und Abschreckung sichern.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wich zuletzt der Frage aus, ob die Aufkündigung des Vertrages durch die USA eine Stationierung von zusätzlichen amerikanischen Atomwaffen in Europa zur Folge haben könnte. Es sei noch viel zu früh, um vorherzusagen, wie das Militärbündnis auf ein mögliches Ende des Abkommens reagieren werde, sagte der Norweger Ende vergangener Woche.
Einlenken unwahrscheinlich
Dass Russland in der Auseinandersetzung doch noch einlenkt, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Zudem wird auch den USA von Kritikern unterstellt, kein besonders großes Interesse am INF-Vertrag in seiner derzeitigen Form zu haben. Das liegt vor allem daran, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China. Letzteres soll mittlerweile über knapp 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter das Abkommen fallen würden.
Wie schnell die USA ein neues Mittelstreckensystem entwickeln und stationieren könnten, wird öffentlich nicht gesagt. Die Pläne für die Ankündigung an diesem Freitag lassen aber durchaus erkennen, dass man sich nicht allzu viel Zeit lassen will. Nach dpa-Informationen wollen die USA ankündigen, sich ab sofort nicht mehr an den Vertrag gebunden zu fühlen. Die sechs Monate Kündigungsfrist wären demnach nur eine Art allerletztes Ultimatum an Russland.
(APA/dpa)