Berlinale

„Vice“: Das Ränkespiel des stillen Vizepräsidenten

Dick Cheney (Christian Bale, l.) wurde vom Hinterbänkler zum Verteidigungsminister unter Bush Senior, zum Vize unter Bush Junior: Diesen spielt Sam Rockwell glänzend als müden, unsicheren Mann.
Dick Cheney (Christian Bale, l.) wurde vom Hinterbänkler zum Verteidigungsminister unter Bush Senior, zum Vize unter Bush Junior: Diesen spielt Sam Rockwell glänzend als müden, unsicheren Mann.(c) Universum Film
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Am Montag feierte auf der Berlinale das Oscar-nominierte Biopic „Vice“ Premiere: Eine Polemik gegen die Hintermänner der Bush-Regierung. Im Wettbewerb schockierte indes eine Roman-Verfilmung – und die Rücknahme eines chinesischen Films.

„Woran glauben wir?“ Diese Frage des jungen Dick Cheney verursacht bei Donald Rumsfeld einen lautstarken Lachanfall. Eine Antwort bleibt dieser seinem Assistenten schuldig. Die Architekten der Bush-Administration, so die These von Adam McKays Cheney-Biopic „Vice“, hatten nie höhere Werte im Sinn, auch nicht das sprichwörtliche Wohl des Volkes. Ihr oberstes Gesetz war einzig und allein die Macht und ihr Erhalt.

Am Montag feierte der achtfach Oscar-nominierte Film Deutschland-Premiere bei der Berlinale, wo er außer Konkurrenz im Hauptprogramm läuft – in Österreich startet er am 22. Februar. Seine zentrale Frage: Wie kommt ein unscheinbarer Hinterbänkler in die „Fluren der Entscheidungsfindung“ – und erlangt dort Einfluss, der seine offiziellen Kompetenzen weit übersteigt? Die Auflösung fällt nicht besonders überraschend aus: Mit Ehrgeiz, Beziehungen, Kalkül – und einer ordentlichen Portion Skrupellosigkeit.

Doch McKay will keinen „House of Cards“-Verschnitt für die große Leinwand liefern; wie schon seine Finanzkrisen-Dramödie „The Big Short“ versteht er „Vice“ als popkulturelles Aufklärungsinstrument mit klarem politischen Impetus. Eine allwissende Erzählstimme kommentiert, erläutert und urteilt wie bei einer Fernseh-Doku, nur schnippischer – und macht aus ihrer kritischen bis ablehnenden Haltung keinen Hehl.

Notorischer Geheimniskrämer

Im Eiltempo hangelt sich „Vice“ durch die Lebens- und Karrierestationen des „quiet man“. Stille Wasser, mahnt ein früh eingeblendetes Zitat, seien oft die gefährlichsten. McKay zeichnet Cheney als im Grunde apolitisches Tier. Zu den Republikanern geht er nicht aufgrund innerer Überzeugungen, sondern weil ihm eine g'feanzte Rede Rumsfelds imponiert. Der damalige Nixon-Berater schätzt und protegiert den Neuling vor allem, weil dieser seinen Mund halten kann. Im Weißen Haus schnuppert Cheney machtsatte Hinterzimmer-Luft – und atmet schon bald ganz tief ein. Unter Bush schart er dann Gleichgesinnte um sich. Sein Netzwerk mutet an wie eine Schattenregierung, die den Irakkrieg nicht verschuldet, sondern gezielt durchgeboxt hat – und dabei alle möglichen US-Grundrechte per „Neuinterpretation“ aus den Angeln hob.

Am Rande dieses Ensemblestücks glänzen vor allem Steve Carells bissiger Rumsfeld und Sam Rockwells müder, unsicherer Bush Jr.; Christian Bale mimt Cheney unter dicken Make-Up-Schichten, schafft es aber dennoch, ihm eine bedrohliche Aura zu verleihen – mit steinerner Miene und zuckendem Mundwinkel, „Batman“-Timbre und durchdringendem Blick.

Doch was treibt den Mann wirklich an? Als herzloser Darth Vader, zu dem Cheney immer wieder stilisiert wurde, erscheint er hier nicht. Eine wilde Jugendzeit über persönlichen, später auch gesundheitlichen Abgründen (Herzschwäche!) weckt seine Sehnsucht nach der Mittelschichts-Version des amerikanischen Traums: Haus, Familie, Sicherheit. Der Film zeigt den Protagonisten wiederholt als liebevollen Vater und Gatten (Amy Adams spielt Lynne Cheney als resolute Unterstützerin), der eigentlich nur seine Angler-Ruhe haben will. Und wenn sie sich nicht einstellt, müssen eben Bomben fallen.

McKays Inszenierung ist sprunghaft und gewitzt. Bester Schmäh: Ein angetäuschter Abspann mitten im Film. Doch der Humor weicht zunehmend Wut, immer wieder setzt es herbe Kontrastmontagen: Bushs nervös tremolierender Fuß bei seiner Rede an die Nation trifft auf das Zittern einer irakischen Familie im Bombenhagel. Republikaner wird McKays Polemik kaum überzeugen, nur wenig an ihrer Analyse ist originell. Ihre Botschaft zielt eher ins Allgemeine – und auf die nächsten Präsidentschaftswahlen ab: Wer Politik einfach walten lässt, warnt sie, muss mit den Konsequenzen leben.

Fatih Akin zeigt herzhafte Grauslichkeit

Für Blätterrascheln im deutschen Kino-Feuilleton sorgte indes ein völlig anderes Milieuporträt mit großem Make-up-Aufwand: „Der goldene Handschuh“, Fatih Akins Verfilmung von Heinz Strunks Roman über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka (Jonas Dassler mit Knollennase). Grund ist, dass Akin der herzhaften Unappetitlichkeit der Buchvorlage erstaunlich treu bleibt. Ranz und Ritzendreck der deutschen Siebziger, Leichenzerteilung und Schmiersuff-Sex, das Nebeneinander von Horror und Humor, die Enthaltung eines moralischen Werturteils: Was im Genrefilm-Kontext selbstverständlich ist, muss im oft biederen Großfestivalzirkus schockieren, wie 2018 schon Lars von Triers „The House That Jack Built“ in Cannes bewies. Brillant als Opfer aus Wien: Margarethe Tiesel.

Während Akin auf einen Goldenen Bären hoffen darf, wurde der chinesische Film „One Second“, der zur Zeit der Kulturrevolution spielt, montags unvermittelt aus dem Wettbewerb zurückgezogen. Laut seiner Sozialmedienvertretung aus „technischen Gründen“, hinter denen freilich politische vermutet werden: Es ist bereits die zweite Rücknahme eines chinesischen Beitrags zum laufenden Festival. Wenn die Berlinale ihrem Ruf als politisch bewusstes Event gerecht werden will, wird sie diese Vorgänge nicht unkommentiert lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2019)

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