„Der goldene Handschuh“: Heimatfilm mit Serienmörder

Hier stranden die von der Gesellschaft Ausgespuckten: in der legendären, noch immer rund um die Uhr geöffneten Kiez-Kneipe „Der goldene Handschuh“.
Hier stranden die von der Gesellschaft Ausgespuckten: in der legendären, noch immer rund um die Uhr geöffneten Kiez-Kneipe „Der goldene Handschuh“.Warner Bros.
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Fatih Akins „Der goldene Handschuh” schied bei der Berlinale die Geister, am Freitag startet der Film in Österreich. Der Film wirft Blicke in Deutschlands Schmuddelecken.

In einer abgeranzten Wohnung liegt ein regloser Frauenkörper. Da stürzt ein Mann herein und macht sich an dem Körper zu schaffen, er wirkt wie gehetzt. Schläft die Person, will er sie wecken? Oder sich gar an ihr vergehen? Erst als der Mann einen Müllsack auspackt, dämmert einem: Es geht um Leichenbeseitigung. Weil der Plan mit dem Beutel scheitert, greift er zur Handsäge. Zunächst scheut er sich vor dem ersten Schnitt. Doch nach einem Schluck aus der Schnapsflasche nimmt er sich zusammen – und verrichtet ein blutiges Werk.

Fatih Akins jüngster Film, „Der goldene Handschuh“, basiert auf Heinz Strunks gleichnamigem Tatsachenroman, dessen unverblümtes Porträt des Hamburger Serienmörders Fritz Honka 2016 zum Bestseller avancierte. Wie die literarische Vorlage taucht die Adaption kopfüber in die Reeperbahndomäne von St. Pauli in den 1970ern. Als Pars pro Toto dient die legendäre, nach wie vor rund um die Uhr geöffnete Kiez-Kneipe, die dem Buch seinen Titel gab.

Dort marinieren von der Gesellschaft ausgespuckte Gestalten vor sich hin. Sie tragen Spitznamen wie Soldaten-Norbert und Cola-Rum-Waltraud, trinken Fanta mit Korn und reden aneinander vorbei. Auch Honka geht im „Handschuh“ ein und aus. Manchmal gabelt er ein Dame auf und nimmt sie in seine Mansarde mit, wo Pin-ups die Wände verdecken. Dann steigert er sich in rauschhafte Begierde hinein, die von seiner Wut auf die Welt kaum zu trennen ist. Und es wird wieder gesägt.

Bei seiner Berlinale-Premiere am 9. Februar spaltete „Der goldene Handschuh“ Kritik und Publikum. Gegner warfen dem Regisseur vor, seine Figuren vorzuführen, Gewalt gegen Frauen zu bagatellisieren. Urteile, die wie so oft auf der Verwechslung von Abbildung und Billigung gründen. Akin hat sich sehr wohl Gedanken gemacht, wie man sich dem abgründigen Material nähern könnte. Sein Film bewegt sich zwischen Überzeichnung und Distanz, Abscheu und Empathie, Arthaus- und Kommerzästhetik. Er lässt die Saftigkeit der Romansprache, in der auch eine gewisse Würde steckt, intakt.

Mensch und Monster

Der 23-jährige Hauptdarsteller, Jonas Dassler, unkenntlich hinter Make-up und schielender Kontaktlinse, beeindruckt mit einer heftigen Körperperformance. Sein Honka torkelt heiser sächselnd durch die Straßen wie der Glöckner von Notre-Dame, zugleich Monster und Mensch. Er ringt um Anerkennung und Normalität, will sich bessern, mit dem Saufen aufhören, windet sich vor Entzugsschmerzen im Laken – und verfällt wieder seinen Trieben. Seine meist älteren Opfer sind mal wehrhaft, mal von tiefer Traurigkeit – unter ihnen auch eine verirrte Wienerin, berückend gespielt von Margarethe Tiesel.

In vielen Kritiken heißt es, „Der goldene Handschuh“ sei ein Horrorfilm. Auch Akin selbst hantiert mit dem Label. Über seine Gültigkeit lässt sich streiten. Während der Berlinale konnte man ein Virtual-Reality-Spiel zum Film ausprobieren. Hier war die Genrezugehörigkeit klar: Wer auf das Angebot einging, durfte sich von 3-D-Honka schrecken lassen wie in der Geisterbahn. In Akins Film fürchtet man sich nie vor der Hauptfigur – dafür ist sie schlichtweg zu jämmerlich. Ihre Taten provozieren Ekel, vielleicht auch Entsetzen – aber keine Angst.

Der Regisseur spricht auch von einem „Heimatfilm“. Das trifft es schon eher. Strunks Roman gewährt flüchtigen Einblick in Honkas Vergangenheit: jenes geschundene Vorleben, das ihn für sein Mörderdasein präpariert hat. Akin hingegen verzichtet auf Psychologisierung. Das macht Einfühlung schwieriger, lässt Honka aber stärker wie ein direkter Auswuchs seines Milieus erscheinen. Und sein Milieu ist keine kriminelle Parallelgesellschaft, sondern ein unleugbarer, vielleicht sogar wesentlicher Teil dessen, was man Deutschland nennt.

Wenn Fiete Leichen sägt, legt er zur Überdeckung der grausen Geräusche seinen Lieblingsschlager auf: Adamos „Es geht eine Träne auf Reisen“. Auch im „Goldenen Handschuh“ herrscht Dauerbeschallung durch Heintje & Co. In diesen Schnulzen schwingen die Träume der Bundesrepublik mit. Sie verheißen Glück, das den ausgesonderten Existenzen des Films unerreichbar scheint. Also holen sie sich dessen Substitut, wo und wie sie können.

Nur selten kommt es zu Begegnungen zwischen Honkas Welt und jener BRD, die nichts mit ihm zu tun haben will. An einer Stelle tropfen Maden durch die Decke auf den Mittagstisch einer Bilderbuchfamilie. „Der goldene Handschuh“ wirkt selbst wie eine Made in der Suppe deutschsprachiger Programmkino-Betulichkeit – und das ist durchaus bemerkenswert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2019)

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