Absprung einer Großmacht: Chinas Liebe zum Wintersport

Bei der nordischen WM sprangen Chinas Adler nur in der Qualifikation ab.
Bei der nordischen WM sprangen Chinas Adler nur in der Qualifikation ab.(c) APA/AFP/JOE KLAMAR (JOE KLAMAR)
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Weil sich Peking als Gastgeber der Winterspiele 2022 behaupten will, schulen Mika Kojonkoski und Heinz Kuttin jetzt schon Chinas Skispringer.

China liefert nicht nur wegen exorbitant hoher Transfersummen für Fußballer derzeit Schlagzeilen, auch die Winterspiele 2022 werfen ihre ersten Schatten voraus. Sie finden in drei Jahren in Peking und Yanqing statt, bei der nordischen WM wollten sich Skispringer, Kombinierer und Langläufer erstmals präsentieren. In den Loipen tauchten sie vereinzelt und weit abgeschlagen auf, auf der Schanze war mit Guang Yan und Chao Li ein Duo in der Qualifikation unterwegs. Aber Skispringerinnen waren keine dabei, als am Mittwoch die neue Weltmeisterin gekürt wurde. „Sie haben in Lubno, Polen, trainiert“, verrät FIS-Renndirektor Walter Hofer der „Presse am Sonntag“. „Und sie sind alle nach nur einem Trainingssprung wieder abgereist. Warum, darüber rätseln wir alle. Schade.“

Wohin, darüber konnte Hofer nur rätseln. Wohl nach China zurück, oder Villach, oder Planica – Genaueres könnte sein Landsmann Heinz Kuttin erzählen. Denn der Ex-ÖSV-Cheftrainer ist Chinas Wahl, um den Damen den Absprung ans Herz zu legen. Der Kärntner soll elf dafür eigens auserwählten Frauen das Fliegen beibringen. Bei den Herren hat auch ein Ex-ÖSV-Cheftrainer das Sagen: der Finne Mika Kojonkoski betrieb sogar ein eigenes Casting, um 30 Athleten zu finden, deren Körpergröße, Kraft und Athletik aussichtsreich wären, um bis 2022 mitspringen zu können.


Wie beim Cirque du Soleil. Mit der „Bright Eyes & Sport Oy“, seiner eigenen Sportfirma in Finnland, hat Kojonkoski womöglich den „größten Fisch“ im Wintersport an Land gezogen. Geld, das etwa 2006 noch gefehlt und Heinz Koch den Job in China gekostet hat, spielt jetzt keine Rolle mehr. Olympia hat Vorrang, koste es, was es wolle.

In Kuopio bastelte Kojonkoski einen Stützpunkt, sechs Trainer filtern und sortieren. Was an das Training im Cirque du Soleil erinnert, ist in Wahrheit nur eine Skisprungschule. Der Finne tritt dabei als „High Performance Director“ auf. „China hat das starke Bedürfnis, eine Wintersportkultur zu erschaffen. Das geht nicht ohne Sportler. Es ist eine sehr große Herausforderung. In China nennen sie das Projekt: Von Null zum Helden! Ich finde das gut, das hat noch niemand gemacht.“

Dazugestoßen sei Kojonkoski, von 1997 bis 1999 in Österreich und damit auch bei der Heim-WM in Ramsau aktiv, aus purem Zufall. Er hielt im Sommer 2018 einen Vortrag beim „China Europe Health & Sports Council“ in Vierumäki. Seine Eloquenz ist bekannt, sein Stehsatz mit „Bright Eyes“ (große, glänzende Augen) begeisterte China.

Und damit begann die Auswahl, in Europa nennt man es Casting, in China „Selektion“. Das Schanzenprojekt ist freilich nicht die einzige Initiative, die Staatschef Xi Jinping startete, um seine Großmacht wintersportaffin zu trimmen. In Vuokatti lernen 150 Chinesen das Langlaufen oder wie man als Skijäger am Schießstand die Ruhe bewahrt. Der Eishockeyklub Kunlun Beijing spielt in Russlands Kontinental Hockey League – in Wahrheit ist es ein reines Suomi-Franchise mit einem „Quoten-Chinesen“. Das Frauenteam spielt in Kanadas CWHL. Bis 2030 sollen 300 Millionen Chinesen Skifahren können.


„Ni hao“: Sprache als Hürde. Auch für Kuttin ist China nach der nervenaufreibenden Zeit in Österreich eine willkommene Ablenkung. Was Kojonkoski bei den Herren vorantreibt, versucht auch der Kärntner. Arzt, Servicemann, Physiotherapeut, Dolmetscher, Assistent, er hat sein Team aufgestellt. Kuttin achtet aber nicht nur auf die richtige Haltung, sondern plant auch Reisen, beseitigt Visa-Probleme. Er ist das „Mädchen für alles“, für Chinas Mädchen, die zwischen 13 und 24 Jahre alt sind. Um lästiges Heimweh auszuschließen, bleibt die Mannschaft manchmal auch länger in China.

Wie aber fand Heinz Kuttin die zukünftigen Skispringerinnen? Sportverbände aus dem ganzen Land hätten zu Trainings geladen, je nach Eignung bzw. Neigung wurden die Sportarten zugeteilt. Sechs blieben aus Hunderten übrig, die schickte der 48-Jährige, Weltmeister von Val di Fiemme 1991, in die Halle; zum Skifahren auf Langlaufskiern. Damit sie wüssten, was Schnee und Gefühl denn wirklich seien. Nur an der Sprachbarriere scheitert Kuttin. Da müssten Dolmetscher helfen, oder Videos. Hauptsache, der Absprung gelingt.


Nur Business. Natürlich, auch China will so schnell wie möglich Ergebnisse sehen. Anderes hätte Kuttin auch nicht erwartet. Ein elfter Platz im Sommer-GP durch Chang Xinyue, Weltcuppunkte durch Li Xueyao – es sind erste Meilensteine in China. Aber, die Endabrechnung erfolgt 2022, dann will die Großmacht auch im eben erst frisch aufpolierten Wintersport-Business als Gewinner dastehen. Um nichts anderes geht es: Sport und Sieger sichern Aufmerksamkeit. Die wahre Medaille der Chinesen ist aber das Geschäft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2019)

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