Finne Liikanen hat beste Chancen auf Draghi-Nachfolge

Der ehemalige finnische Notenbank-Chef Erkki Liikanen könnte neuer EZB-Chef werden
Der ehemalige finnische Notenbank-Chef Erkki Liikanen könnte neuer EZB-Chef werden AFP (THIERRY MONASSE)
  • Drucken

Das Rennen um die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi dürfte spätestens nach der Europawahl Ende Mai in die heiße Phase gehen.

Der geeignetste Kandidat für die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi wird aus Sicht von Volkswirten wohl nicht das Rennen machen - und auch nicht Bundesbank-Chef Jens Weidmann. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter mehr als 50 Ökonomen bezeichneten zwar mehr als ein Drittel der Befragten den EZB-Direktor Benoit Coeure als beste Wahl für diese Schlüsselposition in der europäischen Wirtschaft. Deutlich mehr als ein Drittel nannten indes den ehemaligen finnischen Notenbank-Chef Erkki Liikanen als wahrscheinlichen Sieger.

Draghi scheidet Ende Oktober nach acht Jahren aus dem Amt. Das Rennen um seine Nachfolge dürfte spätestens nach der Europawahl Ende Mai in die heiße Phase gehen. Daneben müssen dieses Jahr auch die Position des Präsidenten der EU-Kommission sowie die Ämter des Vorsitzenden des Europäischen Rates und des EU-Beauftragten für Außenpolitik neu besetzt werden. Es gilt als wahrscheinlich, dass Deutschland auf einen der Posten Anspruch erheben wird. Offizielle Bewerber für die Draghi-Nachfolge gibt es noch nicht. Es kursieren aber schon seit einiger Zeit Namen möglicher Anwärter.

Der in der Umfrage als bester Kandidat eingestufte Franzose Coeure hat ein großes Handicap. Nach den geltenden Regeln darf ein amtierender EZB-Direktor nicht auf den Chefsessel der Notenbank vorrücken. Um wählbar zu sein müsste er vorher zurücktreten - womit die EZB möglicherweise Kritik auf sich ziehen würde. Liikanen allerdings wäre am Ende seiner Amtszeit als EZB-Chef bereits 77 Jahre und damit älter als jeder seiner Vorgänger.

Zu den nach Coeure am besten geeigneten Kandidaten zählten die befragten Experten Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sowie Liikanen. Beide erhielten mehr als ein Fünftel der Stimmen. Bei der Frage nach dem wahrscheinlichen Sieger lag Liikanen vorn. Weidmann, Frankreichs Notenbank-Chef Francois Villeroy de Galhau, Finnlands aktuellen Notenbank-Gouverneur Olli Rehn sowie Coeure teilten sich in etwa die verbleibenden Stimmen. Weidmann schnitt damit bei der Eignungsfrage deutlich besser ab als bei der Frage nach dem wahrscheinlichen Sieger. 

Im Rennen um die Draghi-Nachfolge

JENS WEIDMANN

Der Bundesbank-Präsident ist einer der heißen Kandidaten. Der 50-Jährige gilt als Verfechter einer strafferen Geldpolitik. Zur Zeit der Euro-Krise stemmte sich der promovierte Ökonom immer wieder gegen Beschlüsse der EZB, die ihre Geldpolitik massiv lockerte. Vorbehalte hatte er unter anderem gegen die großangelegten Staatsanleihenkäufe. Dies brachte dem ehemaligen Merkel-Berater in Deutschland zwar viel Zustimmung ein, in südlichen Euro-Ländern erntete er jedoch Kritik. Daher gilt er in Griechenland oder Italien als schwer vermittelbar. Zuletzt gab es aber in der italienischen Regierung Stimmen, die seiner möglichen Kandidatur offen gegenüber stehen.

FRANCOIS VILLEROY DE GALHAU

Auch der Franzose wird als aussichtsreicher Kandidat gehandelt. Der 59-Jährige, der fließend deutsch spricht, ist seit November 2015 Chef der Banque de France. Er zählt weder klar zu den Vertretern einer strafferen Haltung noch steht er eindeutig für eine lockere Geldpolitik. Vor seinem Wechsel in die Notenbankwelt war der gebürtige Straßburger von 2011 bis 2015 bei der Großbank BNP Paribas zuständig für das operative Geschäft. Davor arbeitete auf verschiedenen Positionen für die Regierung, unter anderem für das Finanzministerium. Von 1990 bis 1993 war er zum Beispiel Europa-Berater unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Pierre Beregovoy. Gegen ihn spricht, dass mit Jean-Claude Trichet von 2003 bis 2011 schon einmal ein Franzose an der Spitze der EZB stand.

OLLI REHN

Der 56 Jahre alte Notenbank-Gouverneur Finnlands war von 2015 bis 2016 Wirtschaftsminister seines Landes, bevor er nach einer langen politischen Karriere zur Notenbank wechselte. Einen Namen in Europa machte sich Rehn, der in Oxford in politischer Ökonomie promovierte, vor allem in seiner Zeit als EU-Wirtschafts- und Währungskommissar von 2010 bis 2014. Während der Euro-Krise galt er als Vermittler, der sowohl gute Beziehungen zu den verschuldeten Staaten als auch zu den kreditgebenden Ländern hielt. Rehn wird daher auch als ein möglicher Kompromisskandidat gesehen. Gegen ihn spricht seine nur kurze Zeit an der Spitze der heimischen Notenbank.

ERKKI LIIKANEN

Er ist Rehns Vorgänger an der Spitze der finnischen Notenbank. Der 68-Jährige leitete die Notenbank von 2004 bis 2018. Davor durchlief er wie Rehn eine politische Karriere. Er war unter anderem Finanzminister seines Landes und viele Jahre EU-Kommissar, bevor er zur Notenbank wechselte. Bereits mit 21 Jahren wurde er Mitglied des finnischen Parlaments. Auch Liikanen gilt als ein eventueller Kompromisskandidat.

BENOIT COEURE

Von manchen Beobachtern wird auch der 49 Jahre alte EZB-Direktor als möglicher Kandidat genannt. Für den Wirtschaftswissenschaftler aus Grenoble, der seit 2012 im sechsköpfigen Führungsgremium der Notenbank sitzt, spricht seine fachliche Kompetenz. Vor seinem Wechsel zur EZB war Coeure, der auch über einen Abschluss in Japanisch verfügt, unter anderem für das Statistikamt Insee tätig. Zudem leitete er die Agence France Tresor (AFT), die für das Schuldenmanagement Frankreichs zuständig ist. Gegen ihn spricht, dass amtierende EZB-Direktoren den Regeln zufolge nicht auf den Notenbank-Chefsessel wechseln können. Er müsste also vorher zurücktreten. Zudem müsste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihn statt Notenbank-Chef Villeroy unterstützen, was eine heikle Entscheidung wäre.

KLAAS KNOT

Der Chef der niederländischen Notenbank wird zu den Verfechtern eines strafferen geldpolitischen Kurses gezählt. Im Unterschied zu Weidmann gilt der 51-Jährige, der unter anderem eine Professur an der Universität Groningen innehat, aber als weniger strikt. Der promovierte Ökonom arbeitete von 2009 bis 2011 als Direktor Kapitalmärkte für das Finanzministerium seines Landes. Gegen Knot spricht, dass die Niederlande bereits mit Wim Duisenberg 1998 bis 2003 den ersten EZB-Präsidenten stellten.

(Reuters)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

FILE PHOTO: ECB President Draghi delivers a speech during a ceremony to mark the 20th anniversary of the launch of the Euro, at the European Parliament in Strasbourg
Geld & Finanzen

Mario Draghi sucht nach neuen, kreativen Geldideen

Die Wirtschaft schwächelt, die Märkte wackeln. Alle Augen sind heute auf Mario Draghi und die EZB gerichtet. Sie wird wohl die Geldschleusen wieder öffnen. Die Frage ist nur: Wie soll das gehen?
Ökonomen erwarten, dass EZB-Chef Mario Draghi  Hinweise darauf gibt, dass neue Langfristdarlehen für Geschäftsbanken kommen könnten
International

Konjunktursorgen treiben EZB um - Neue Geldspritzen im Gespräch

Die Zinssitzung der EZB am Donnerstag wird Experten zufolge ganz im Zeichen der gestiegenen Sorgen um die Konjunktur stehen. Die jüngsten Wirtschaftsdaten waren hinter den Erwartungen der Euro-Wächter zurückgeblieben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.