Kunsthistorisches Museum: Altmeister als Hauptdarsteller

Burgschauspielerin Sabine Haupt entäußert sich für „Alte Frau am Fenster“ von Gerard Dou.
Burgschauspielerin Sabine Haupt entäußert sich für „Alte Frau am Fenster“ von Gerard Dou.(c) Helmut Wimmer
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„Ganymed in Love“, Jacqueline Kornmüllers neueste Performance, überzeugt nur bedingt. Trotzdem: Das beliebte Event hat sich etabliert.

Der Geschäftsführer des Volkstheaters blickte schmallippig auf den Strom von Menschen, die sich Mittwochabend vor dem Kunsthistorischen Museum (KHM) drängten. 600 Besucher kamen zur Premiere von „Ganymed in Love“, einer Stationen-Performance von Jacqueline Kornmüller. Das macht bei, sagen wir, zehn Vorstellungen – die Serie läuft bis Juni – 6000 Zuschauer. Über diese würde sich das nahe gelegene Volkstheater freuen, dessen Auslastung auf 52 Prozent abgestürzt ist.

Dort VT-Chefin Anna Badoras aufklärerisches Konzept, hier eine Veranstaltung mit der Aura von sanfter Völkerverständigung. Was hat mehr Zukunft? Das Event als Publikumsliebling? Möglich. Zu Beginn von „Ganymed in Love“ im KHM, es ist bereits die sechste Auflage der Show, wandern Schauspieler langsam durch die Menge und umarmen Zuschauer. Da kommt Freude auf.

Ein Adler raubt den schönen Knaben Ganymed für Zeus, dem er als Mundschenk dienen soll. Ganymed steht für die Liebe erwachsener Männer zu Jungen, in Griechenland und im alten Rom war das üblich, heute ist es tabu. Bilder von Ganymed in der Kunst strahlen immer auch Gewalt aus, obwohl der Bub natürlich eine edle Haltung bewahren muss – in den Krallen des Vogels.

Regisseurin Jacqueline Kornmüller erzählt diesmal von der Liebe, von „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“ (Gemälde von Cesare da Sesto) bis zur „Alten Frau am Fenster“ (Gerard Dou). Zu den Bildern gibt es moderne Texte. Die meisten Schauspieler wirken mäßig. Eine der wenigen souveränen Sprecherinnen ist Sabine Haupt vom Burgtheater, deren Auftritt aber von der nebenan stattfinden Piano-Session stark gestört wird. Peter Wolf rezitiert vor Pompeo Batonis „Gleichnis vom verlorenen Sohn“, Franz Schuh schrieb die Erläuterung, ihm kommt es spürbar Spanisch vor, dass der geliebt wird, der es nicht verdient.

Stimme aus Syrien, Gebärdensprache

Christian Nickel trägt vor Caravaggios „Rosenkranzmadonna“ Gedanken des belgischen Schriftstellers und Regisseurs Jean-Philippe Toussaint vor. Das Stimmengewirr auf dem Gemälde wird theatralisch mittels Gebärdensprache illustriert. Toll! Die Kurdin Rania Ali hat ihre Flucht aus Syrien nach Österreich gefilmt, im KHM spricht sie vor Tizians „Kirschenmadonna“ über ihre Mutter, die sie mit neun Jahren verlor, und sagt: „Wenn du dich selbst liebst, kannst du jedermann lieben.“ Diese Aufführung ist voll derartiger schlichter Weisheiten. Und doch berührt gerade diese Sequenz besonders, wenn die junge Frau vor einem Haufen Erdbeeren sitzt: Rania Ali lächelt, aber ihre Augen bleiben ernst. Der Hauptdarsteller dieses Abends ist die Gemäldegalerie des KHM, die jetzt oft so überfüllt ist, zum Unterschied von vor 30 Jahren, als man noch stundenlang fast allein durch Säle und Kabinette schlendern konnte. „Alte Meister“ von Thomas Bernhard erinnert an diese Zeit.

„Nachts im Museum“, dieser Blockbuster, lockte Scharen in New Yorks Natural History Museum, dessen Petrefakte der Film lebendig werden lässt. Hier verbreitet die feenhaft beleuchtete KHM-Sammlung eine ähnliche Atmosphäre. Man erwartet, dass manche Infantin, mancher Heilige von seiner Leinwand herabsteigt. Oder hat gar die schauerliche tote Medusa gezuckt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2019)

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