Europas satter Schlaf der Selbstgerechten

Seit Monaten steht Europa im Bann des grotesken Brexit-Theaters.
Seit Monaten steht Europa im Bann des grotesken Brexit-Theaters.REUTERS
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Anstatt unablässig den Kopf über das Elitenversagen in London zu schütteln, sollten die übrigen Mitgliedstaaten ernsthaft nachdenken, wie die EU ohne Briten im globalen Wettkampf mithalten kann.

Seit Monaten steht Europa im Bann des grotesken Brexit-Theaters in Westminster. Mittlerweile ist die glücklose Hauptdarstellerin, Theresa Doña Quijota May, heiser und das Publikum ermattet. Nur der Vorhang will nicht fallen.

Vergangene Woche fand sich endlich eine Mehrheit im britischen Parlament, aber nicht für den Scheidungsvertrag mit der EU, sondern für eine Verlängerung der zweijährigen Spielzeit: Die bis 29. März angesetzte Aufführung soll wegen Misserfolgs prolongiert werden. Ein Ende des Dramas ist nicht in Sicht. Die britische Premierministerin bleibt unverdrossen auf ihrem klapprigen Regierungsgaul sitzen, um ihren Brexit-Deal trotz zweimaliger Ablehnung im Unterhaus weiter im Windmühlenkreis zu führen.

Hämisch bis fassungslos verfolgen die übrigen 27 EU-Mitglieder das chaotische Spektakel in London. Doch anstatt über das britische Elitenversagen unablässig den Kopf zu schütteln, sollten sie sich besser schleunigst Gedanken machen, wie es ohne die zweitgrößte Volkswirtschaft im Klub weitergehen soll. Denn stärker wird die EU sicher nicht, wenn die ehemalige Weltmacht und Noch-Atommacht nicht mehr dabei ist.

Die geopolitischen Achsen verschieben sich dramatisch. China wird dominanter; die USA streifen unter ihrem nationalistischen Ego-Präsidenten, Donald Trump, die liberale Global-Cop-Rolle ab; Autokratien wie Russland und die Türkei versuchen, das Vakuum zu füllen. Und das zunehmend auf sich allein gestellte Europa ist nicht einmal vernünftig mit sich selbst beschäftigt. Die EU sollte in dieser Umbruchzeit ihre Kräfte bündeln. Doch sie wirkt erschlafft, wie gelähmt – ohne Ambition, Energie oder gar Vision. Die Welt steht kopf. Europa aber ist im satten Schlaf der Selbstgerechten versunken.

Ideen! Man kann über seine Motive und Agenda streiten: Doch der Einzige, der eine kraftvolle Debatte über die Zukunft der EU aktuell vorantreibt, ist Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron. In einem offenen Brief schlug er pathetisch einen Neubeginn vor: eine Europakonferenz, einen Verteidigungsvertrag, eine Klimabank, einen Innovationsrat etc. Ein bürokratischer Ansatz vielleicht, aber wenigstens präsentierte er Ideen. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, von der schon lang nichts mehr kommt, fand es nicht einmal der Mühe wert zu antworten. Sie schickte ihre Nachfolgerin als CDU-Chefin, Annegret Kramp-Karrenbauer, vor, die Macron gleich einmal unter die Nase rieb, dass der parlamentarische Wanderzirkus nach Straßburg überflüssig sei, Frankreich seinen UN-Sicherheitsratssitz an die EU abgeben möge und europäische Mindestlöhne wenig sinnvoll seien.

Doch Kramp-Karrenbauer stimmte, ähnlich wie Österreichs Kanzler, Sebastian Kurz, auch überein mit Macron: Sie wolle, wie übrigens die meisten EU-Regierungschefs, die Außengrenze Europas besser schützen und Europa weltpolitikfähig machen. Dann packt es doch endlich an! Europa muss die zentralen Relevanzschalter umlegen und dabei vermehrt auch das bremsende Einstimmigkeitsprinzip kippen, wenn es im globalen Wettkampf mithalten will. Denn das wird ohne Briten garantiert noch schwieriger.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2019)

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