"Wir": Der irre Horror der Doppelgänger

Die Mutter der Familie (Lupita Nyong'o) ahnt als Erste: Hier stimmt etwas nicht.
Die Mutter der Familie (Lupita Nyong'o) ahnt als Erste: Hier stimmt etwas nicht.(c) Claudette Barius/ Universal Pictures
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Mit der Horrorfilmsatire „Get Out“ begeisterte Jordan Peele Kritik und Publikum. Nun setzt er mit „Wir“ noch eins drauf: ein dunkelbuntes Grusellabyrinth, wie gemacht für Mehrfachsichtungen und verschrobene Fan-Theorien.

Schon seltsam, dieses kleine Wörtchen „Wir“. Wenn man mit diesem Personalpronomen eine klar abgesteckte Gruppen meint („Gehen wir ins Kino!“), fühlt sich jeder angesprochen. Doch in der Öffentlichkeit nimmt es einen diffusen Charakter an. Reden, Appelle, manchmal auch (Film-)Kritiken wie diese hier – sie alle nutzen das Wort, um eine nebulöse Gemeinschaft anzudeuten. Manchmal in Opposition zu einem Außen, aber noch öfter als trügerische Ganzheit. „Wir“ sind die Welt. „Wir“ wissen, was gut für „uns“ ist.

Wir brauchen keine Semantiker zu sein, um zu wissen, dass es immer jemanden gibt, den dieses „Wir“ nicht einbezieht.

„Wir“ heißt auch der jüngste Leinwandstreich von Jordan Peele – und die Kehrseite flapsiger Gemeinschaftschimären ist der Stoff, aus dem dessen Albträume sind. Peele ist im Horrorgenre kein Unbekränzter. Eigentlich absurd, zwei Jahre nach der Veröffentlichung eines Films von einem Meilenstein zu reden – doch im Fall von Peeles Kinoregiedebüt „Get Out“ (2017) scheint der Begriff angemessen.

„Get Out“ handelt von einem jungen Afroamerikaner, der beim Besuch der Eltern seiner Freundin eine unheimliche Entdeckung macht. Als das Schauerstück anlief, rechneten die wenigsten mit einem Sensationserfolg. Dann spielte „Get Out“ das 50-Fache seines Fünf-Millionen-Dollar-Budgets ein – und stieß bei Publikum und Kritik auf fast einhellige Begeisterung. Sogar einen Drehbuch-Oscar heimste die hintersinnige Gruselmär ein, für ihre Genre-Gattung eine Seltenheit.

Vier Gestalten in der Einfahrt

Dennoch kaum verwunderlich: Mit bescheidenen Mitteln und cleverem Konzept sorgte der Film für Spannung, zerpflückte nebenher die Illusionen eines „postrassistischen“ Amerika – und schrieb sich als Pop-Phänomen in den Politdiskurs der Trump-Ära ein. Eine Szene, in der die hypnotisierte Hauptfigur in einer schwerelosen Zwischenwelt versinkt, geriet im Netz zum Kult: Wer als Angehöriger einer Minderheit ausgebeutet wird, ohne sich dessen bewusst zu sein, steckt neuerdings im „Sunken Place“ fest.

Die Erwartungen an Peeles Zweitling sind entsprechend hoch, am Donnerstag läuft er in heimischen Kinos an. Man spürt den Leistungsdruck im Hintergrund: „Wir“ möchte um jeden Preis besonders sein. Unmöglich, den Film ganz ohne Spoiler zu besprechen. Sogar der Trailer scheint das zu ahnen, verrät er doch den zentralen Schreckensquell. Doch dieser stellt nur die erste Schicht seiner Plot-Matrjoschka dar.

Dabei fängt alles ganz harmlos an. Familienidyll im Ferienhaus, bürgerliche Behaglichkeit: Papa Wilson (Winston Duke) dreht Runden im Motorboot, die Kinder (Evan Alex und Shahadi Wright Joseph) balgen sich, ziemlich beste Freunde (herrlich unsympathisch: Tim Heidecker und Elisabeth Moss) leisten Trinkgesellschaft. Nur Mama (Lupita Nyong'o) fühlt sich zusehends unwohl, bedrängt von schlimmen Erinnerungen. Stimmt vielleicht doch etwas nicht? Warum steht da ein regloser Mann am Strand, mit ausgestreckten Händen? Warum landet das Frisbee punktgenau auf dem Handtuchmuster? Und wer sind die vier Gestalten im Schatten der Einfahrt?

„Das sind wir“, flüstert der verängstigte Sohn. Und er hat nicht unrecht. Denn obwohl die Eindringlinge rote Overalls tragen und mit goldenen Scheren bewaffnet sind, gleichen sie den Wilsons aufs Haar. Ein blutiges Psychoduell nimmt seinen Lauf. Woher kommen die mysteriösen Doppelgänger? Die Antwort wartet am Ende eines vertrackten Handlungslabyrinths, das auf Schritt und Tritt Überraschungen bereithält.

Peele inszeniert souverän – und mit beachtlichem Kunstwillen. Während sein Einstand (bis auf die erwähnte Hypnoseszene) formal unauffällig blieb, outet er sich hier als Vollblutcineast und fackelt ein Anspielungsfeuerwerk ab, das selbst Quentin Tarantino zur Ehre gereichen würde. Schon der Vorspann – ein langer, von altmodischen Gänsehautchorälen untermalter Zoom aus einem Kaninchenkäfig – markiert seine Affinität zu klassischen Horroratmosphären. Zugleich ist sich der einstige Sketch-Komödiant nicht zu schade, um ominöses Unbehagen einer bissigen Pointe zu opfern.

Mit seinem Stimmungswechselbad und der wilden Verwurstung unterschiedlichster Horrormotive zu einem imposanten Frankenstein-Monster droht „Wir“ hin und wieder unter dem Gewicht seiner Ambitionen zusammenzubrechen, sich in seinen eigenen Verstrickungen zu verheddern – aber fad ist der Film nie. Dabei hilft auch, dass sein Spiegelbildschema offen für Interpretationen bleibt, wenngleich politische Lesarten naheliegen: Wo „Get Out“ Rassenverhältnisse zum Thema machte, balanciert „Wir“ über Klassenklüften. Und über den Abgründen der Vereinigten Staaten im Allgemeinen – das macht schon sein doppelbödiger Originaltitel „Us“ deutlich.

Dass „Wir“ wie für Onlinediskurse gemacht scheint, für Mehrfachsichtungen und verschrobene Fan-Theorien, Mythenspinnereien und YouTube-Erklärvideos, mag nerven, wenn man sich einfach nur ein bisschen fürchten will. Aber wie oft treibt die heutige Popkultur schon so sonderbare Blüten? Wir sehen uns im nächsten Film, Herr Peele.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2019)

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