Ukraine/Russland: Neustart mit Kuhhandel

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Russland verbilligt seine Gaslieferungen und revidiert damit jene Gasverträge, die es erst vor gut einem Jahr mit Janukowitschs Amtsvorgängerin Julia Timoschenko ausgehandelt hatte.

MOSKAU. Was lange in der Nachbarschaftskrise lebte, rückt nun umso enger zusammen. Auf diese Formel lässt sich bringen, was der russische Präsident Dmitrij Medwedjew und sein ukrainischer Amtskollege Viktor Janukowitsch am Mittwoch in der ostukrainischen Stadt Charkow vereinbart haben. Demnach wird die vor der Krim ankernde russische Schwarzmeerflotte nicht – wie vertraglich vorgesehen – im Jahr 2017 in russische Gewässer verlegt, sondern verbleibt um weitere 25 Jahre auf der Krim. Laut Medwedjew wurde auch eine Option auf zusätzliche fünf Jahre ausgehandelt.

Als Gegenleistung verbilligt Russland seine Gaslieferungen und revidiert damit jene Gasverträge, die es erst vor gut einem Jahr mit Janukowitschs Amtsvorgängerin Julia Timoschenko ausgehandelt hatte und die die bilateralen Gaskonflikte ein für alle Mal beenden sollten. Laut Medwedjew erhalte die Ukraine fortan einen Preisnachlass um 100 Dollar, wenn der Gaspreis über 330 Dollar je 1000 Kubikmeter liege, oder um 30 Prozent, sofern er sich darunter bewege. Janukowitsch kommentierte: „Diese Vereinbarungen sind beispiellos.“

Als nicht weniger beispiellos werten Beobachter die Art des Tausches – sprich die Vertragsverlängerung für die Schwarzmeerflotte. Der Schritt hatte jahrelang als tabu gegolten und bedarf im Übrigen auch jetzt erst noch einer Änderung der Verfassung, die bisher – wohlgemerkt nur in einem Zusatzpapier – ausschließlich eine temporäre Stationierung vorsieht.

„Souveränität ist der Verlierer“

„Der Verlierer ist die ukrainische Souveränität“, sagt Vitali Bala, Politologe einer ukrainischen Denkfabrik. „Wir lassen uns Fußfesseln anlegen, und alles nur, weil es uns wirtschaftlich schlecht geht.“ In der Tat ist der Tausch ökonomisch motiviert. Musste die ukrainische Wirtschaft, die im Vorjahr um 15,1 Prozent eingebrochen ist, durch einen Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds vor dem Kollaps gerettet werden, so keuchte sie bis zuletzt unter den russischen Gaspreisen.

Als größter Abnehmer von russischem Gas und als größtes Transitland für den Gastransport nach Europa hätte sie heuer im Schnitt 334 Dollar je 1000 Kubikmeter berappen sollen. Dies hätte unweigerlich zu Preiserhöhungen für die Bevölkerung geführt.

Hat Russland damit schon Janukowitsch den Rücken gestärkt, so wurde insgesamt mit großer Geste ein neues Kapitel in den Nachbarschaftsbeziehungen aufgeschlagen. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre, als die ukrainische Politik von den Galionsfiguren der orangen Revolution bestimmt war, war das Verhältnis eingefroren. Im Vorjahr sprach Medwedjew gar von einer antirussischen Politik, die sich in Nato-Beitrittsambitionen oder der offiziellen Heroisierung antirussischer Aktivisten äußerte.

Janukowitsch seinerseits hat sich bald nach seiner Wahl gegen einen Nato-Beitritt, jedoch für eine Annäherung an die EU und eine ausbalancierte Außenpolitik ausgesprochen.

Diese beizubehalten sei durchaus noch möglich, meint Oleksij Haran, Politologe an der Kiewer Mohyljanska Akademija. „Aber Janukowitsch hat am Mittwoch bewiesen, dass seine Partei nicht strategisch denkt und im wirtschaftlichen Interesse ihrer Financiers strategische Interessen opfert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2010)

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