Gaza-Krise bringt Israels Premier in Zugzwang

Luftschläge gegen Hamas-Gebäude. Israels Militär schickte vor den Angriffen eine Warnung aus.
Luftschläge gegen Hamas-Gebäude. Israels Militär schickte vor den Angriffen eine Warnung aus.(c) REUTERS (MOHAMMED SALEM)
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Kriegsgefahr in Nahost. Opposition und Koalitionspartner werfen Netanjahu vor, nur „halbherzig“ gegen die islamistische Hamas vorzugehen.

Jerusalem. Es ist ein Schwanken zwischen Krieg und Frieden. Trotz der Vermittlungsanstrengungen des ägyptischen Geheimdienstes kam es in der Nacht auf Mittwoch erneut zu Raketenangriffen aus dem von der islamistischen Hamas kontrollierten Gazastreifen und zu Luftschlägen der israelischen Streitkräfte. Die Schulen im israelischen Bezirk Eshkol, der an den Gazastreifen grenzt, waren am Mittwoch wieder geöffnet. Regierungschef Benjamin Netanjahu übt Zurückhaltung. Die Luftwaffe bombardierte militärische und Verwaltungseinrichtungen der Hamas, vermied aber, dass Personen zu Schaden kommen. Jedem größeren Angriff gingen Warnungen voraus, damit sich die Menschen in Sicherheit bringen können.

Für dieses „halbherzige“ Vorgehen muss sich Netanjahu Kritik von seinen Koalitionspartnern anhören, genauso wie von seinen politischen Gegnern vom Mittebündnis Blau-Weiß und rechts davon. „Das ist kein Waffenstillstand“, kommentierte der frühere Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, „sondern der komplette Zusammenbruch der Abschreckungskraft Israels“. Niemals werde er sich zum Partner einer solchen „Politik der Niederlage“ machen.

„Abschreckungskraft ist zerstört“

Möglicherweise unbeabsichtigt mischt die islamistische Palästinenserführung im israelischen Wahlkampf mit. Die Hamas und der Gazastreifen sind das zentrale Thema der Kampagnen. Netanjahu hält keine Lösung parat. Ein härteres Vorgehen propagierte er, als er selbst noch in der Opposition saß, zögert nun aber, so kurz vor der Parlamentswahl am 9. April einen neuen Krieg zu riskieren – auch wenn er prinzipiell eine Bodenoffensive nicht ausschließen wollte. „Wir werden alles tun, was zur Verteidigung unseres Volkes und unseres Staates nötig ist.“

Für seine Gegner im Wahlkampf sind die Spannungen ein gefundenes Fressen. Es reiche nicht, nur leere Gebäude zu bombardieren, mahnte Gabi Aschkenasi, der für Blau-Weiß kandidiert. „Die Armee muss Hamas-Kämpfer liquidieren.“ Die palästinensischen Islamisten sollten härter zu spüren bekommen, welchen Preis sie bezahlen müssten, wenn sie Israel weiter mit Raketen angreifen.

„Unsere Abschreckungskraft ist zerstört“, glaubt auch der frühere Generalstabschef und sagt, dass die Hamas zwar ein schwieriges aber „kein unlösbares Problem“ sei.

Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Neuen Rechten, verspricht „die Hamas zu zerquetschen“, wenn er erst einmal Verteidigungsminister sei. Ob es jemals soweit kommen wird, sei dahingestellt. Für den Wahlkampf macht sich die Drohung allemal gut. Israel habe in der Vergangenheit Hamas-Funktionäre exekutiert, twitterte Bennett. „Das ist die einzige Sprache, die die Terroristen verstehen.“

Aufmarsch der Reservisten

Netanjahu verkürzte wegen der Eskalation seinen Besuch in Washington und sagte eine Rede vor der AIPAC, der pro-israelischen Lobby in den USA ab, um mit dem Sicherheitsapparat daheim über weitere Schritte zu beraten. In der Zwischenzeit mobilisierte die Armee Reservisten und schickte mehrere Brigaden Richtung Süden. Diesmal schien es ernst zu werden, dann jedoch endete der Schlagabtausch wie die vorherigen. Seit elf Jahren leben die israelischen Ortschaften in Grenznähe mit der Gefahr, jederzeit angegriffen zu werden. Die Kibutzim und Kleinstädte sind gut geschützt, öffentliche Gebäude mit dicken Betonwänden ausgestattet. Zudem fängt das Raketenabwehrsystem Eisenkuppel die meisten der Geschosse ab, Verletzte sind die Ausnahme. Allerdings verursachten die mit Brandsätzen bestückten Drachen und Heliumballone, die in den vergangenen Monaten vom Gazastreifen losgeschickt wurden, bei den israelischen Bauern verheerende Schäden.

Plan für neue Proteste an der Grenze

Israel beharrt darauf, dass eine Feuerpause auch die Brandsätze betrifft. Die Hamas fordert umgekehrt ein Ende der Blockade. Die Proteste des Großen Marschs der Rückkehr, die sich kommenden Freitag zum ersten Mal jähren, zielen darauf ab, die Grenzanlagen nach Israel zu durchbrechen. Rund 200 Palästinenser starben bei den Demonstrationen durch israelische Scharfschützen.

Die Organisatoren der Massenproteste haben für Samstag zum „Eine-Million-Marsch“ aufgerufen. Israels Armee bereitet sich auf erneute Unruhen vor. Noch ist die Krise nicht ausgestanden. Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros, verbuchte den jüngsten Schlagabtausch mit Israel als Erfolg: Der Widerstand habe „gesprochen“, sagte er. Und: „Israel hat die Botschaft verstanden.“

Auf einen Blick

Vor der Parlamentswahl in Israel am 9. April verschärft sich der Konflikt mit der im Gazastreifen regierenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas. Militante Palästinenser feuern aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel ab. Die israelischen Streitkräfte reagieren mit Luftangriffen. Bei den Luftschlägen wurden Gebäude der Hamas zerstört. Israels Armee schickte kurz vor jedem Angriff Warnungen aus, damit sich die Personen in und um die Gebäude in Sicherheit bringen konnten. Israels Opposition und Teile der Regierungskoalition werfen Premier Benjamin Netanjahu jetzt vor, nicht hart genug gegen die Hamas vorzugehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2019)

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