Eine Prozession wie 1772

Ministranten ziehen die jahrhundertealte Holzfigur bei der Palmprozession in Thaur.
Ministranten ziehen die jahrhundertealte Holzfigur bei der Palmprozession in Thaur.(c) Josef Bertsch
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360 Grad Österreich: In vielen Gemeinden finden am Sonntag Palmprozessionen statt – aber nur in zwei Orten mit einzigartigen jahrhundertealten Holzeselfiguren.

In der kleinen Tiroler Gemeinde Thaur östlich von Innsbruck ist man sehr traditionsbewusst. Das Mullerlaufen zur Fasnacht hat sich hier beispielsweise über Generationen so erhalten, wie es einst im 12. oder 15. Jahrhundert (genau weiß man es nicht) begonnen hat. Man hat es hier auch in jener Zeit veranstaltet, als es als peinlich und überholt galt und noch nicht der große Touristenmagnet war. Erst in den vergangenen Jahren haben viele Gemeinden das Mullen wiederentdeckt, es hat sich zu einer regelrechten Trendveranstaltung entwickelt, weil Brauchtum einen Boom erlebt – und sich gut verkaufen lässt.

Ähnlich ist es mit der heutigen Palmsonntagsprozession (ab 13 Uhr bei der Kirche): Sie findet so statt, wie schon mindestens seit 1772 jedes Jahr (bis auf eine Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs). In der Früh wird ein Holzesel abgestaubt, man stellt ihn auf einen vierrädrigen, niedrigen Wagen, der später von Ministranten gezogen wird, setzt eine fast lebensgroße, detailverliebt geschnitzte Christusfigur auf den Esel, bekleidet sie mit einem scharlachroten Mantel, steckt ihr einen Palmzweig in die linke Hand, die rechte ist zum Segen erhoben, und bringt Esel und Figur zur Kirche.

Es ist ein im Alpenraum einzigartiger Brauch, der laut deutschen Quellen ins 10. Jahrhundert zurückreicht, laut Institut für Geschichtswissenschaften an der Universität Innsbruck spätestens seit dem 13. Jahrhundert stattfindet. Nur in Puch südlich von Salzburg hat noch eine hölzerne Palmeselfigur die Jahrhunderte überlebt.

„Früher hat es das in vielen Gemeinden gegeben“, weiß Josef Bertsch. Er ist Obmann des äußert aktiven Vereins für Dorfgeschichte („Chronos“) in Thaur, der erst Ende vergangenen Jahres sogar ein kleines, feines Museum zur Geschichte der 4000-Einwohner-Gemeinde gestaltet hat. Doch über die Jahre nahm das Interesse ab, die Holzfiguren verschwanden im besten Fall im Museum, im schlechtesten wurde sie in irgendeinem Keller langsam zu Holzmehl.

In Thaur ist es vor allem einer Familie zu verdanken, dass es die Figur aus dem Jahr 1772 noch gibt, die laut Inschrift von Franziscus Antonius Egger gestiftet und vermutlich vom Krippenschnitzer Johann Nepomuk Giner geschaffen wurde. Noch heute ist sie im Familienbesitz und wird nur einmal im Jahr für die Prozession hervorgeholt. Sie hat die Zeiten von Maria Theresia, die die ausufernde Darstellung der biblischen Geschichte einschränkte, ebenso überstanden wie die Vernichtungswellen in der Aufklärung zu Ende des 18. Jahrhunderts und die Verbote von Kaiser Josef II.

Sogar die Hippiezeit, die in Thaur die größte Gefahr für die Tradition war, wie Josef Bertsch erzählt. „In den 1970er-Jahren hat die Teilnahme an der Prozession massiv nachgelassen.“ Die jungen und wohl auch etliche ältere Bewohner interessierten sich für anderes. Der Pfarrer habe daraufhin die Gemeinde ermahnt: Sollte das Interesse noch weiter zurückgehen, werde man die Prozession überhaupt aufgeben. „Im nächsten Jahr sind wieder mehr gekommen.“

Aus der Salzach gefischt. Die Prozession am Palmsonntag erinnert an den Einzug Jesu in Jerusalem, bescheiden auf einem Esel. Der wird in immer mehr Gemeinden in Österreich übrigens zum fixen Bestandteil der Prozessionen, man führt einen lebenden Esel mit, auf dem teilweise ein Ministrant reitet, wie etwa in Hintersee, südöstlich von Salzburg, oder vergangenes Jahr in Annaberg, wo man besonders stolz ist auf Eselin Csila, eine der 200 letzten der Rasse Österreichisch-Ungarischer Weißer Barockesel mit cremefarbenem Fell und hellblauen Augen. In Salzburg machten einst auch die Erzbischöfe im ersten Jahr nach ihrer Wahl einen Palmritt zur Nonnbergkirche – „allerdings nicht auf dem plebejischen Esel, sondern auf einem Schimmel“, wie das Innsbrucker Institut für Geschichtswissenschaften weiß.

Eine wechselvolle Geschichte hat auch der vermutlich ebenfalls mehr als 200 Jahre alte Holzesel im Salzburger Puch hinter sich, wie Barbara Gerber vom Tourismusverband weiß. Die Christusgestalt ist 77 Zentimeter hoch, der Esel selbst 88 Zentimeter und 138 Zentimeter lang. Man kann ihn das ganze Jahr über im Glockenturm der Pfarrkirche besichtigen, nur am Palmsonntag kommt er auf eine Plattform, die von vier Männern des örtlichen Trachtenverein D' Puachstoana bei der Prozession getragen wird.

Aufgezeichnet ist, dass die Umzüge mit den Holzfiguren in Salzburg bereits 1785 von Erzbischof Hieronymus Colloredo verboten wurden und die Palmesel im Bundesland vernichtet werden mussten. Folgsam warf man also auch in Hallein den Esel in die Salzach – nur damit er stromabwärts in Puch von Einheimischen wieder aus dem Wasser gezogen wurde. Sie versteckten die Holzfigur bei einem Bauern im Stall, bis Jesus samt Esel wieder offiziell an der Prozession teilnehmen durfte. Heute, ab neun Uhr, tragen die vier Burschen die etwa 100 Kilogramm schwere Figur wieder durch Puch.

Eine „Prozession“ der etwas anderen Art gibt es übrigens in Stockerau in Niederösterreich – ohne Holzfiguren, aber ebenfalls mehr als hundert Jahre alt. Am Gründonnerstag trifft man sich (acht Uhr, Stockerauer Kirche) für eine gemeinsame Wanderung durch die Au nach Tulln. Auf dem Weg gibt es verschiedene Stationen und Aktionen.

Die sogenannte Gründonnerstagspartie geht angeblich auf das Jahr 1884 und den Gymnasiallehrer Wasserburger zurück, der an jenem Tag Reißaus vor dem Osterputz seiner Haushälterin gemacht hat. Vielleicht, weil er nicht stören wollte – vielleicht aber auch deshalb, weil er einfach nicht mithelfen wollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2019)

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