Laut, unangenehm, übertrieben: Sibylle Bergs "GRM. Brainfuck"

Im Ton cooler oder kalter Verachtung erzählt. Sibylle Berg.
Im Ton cooler oder kalter Verachtung erzählt. Sibylle Berg.(c) Hoffmann, K. / laif / picturedes (Hoffmann, K.)
  • Drucken

Sibylle Bergs „GRM. Brainfuck“ treibt so drastisch wie möglich alle Abscheulichkeiten, die unsere Welt heute zu bieten hat, auf die Spitze – mit sprachlichen Mitteln aktueller Jugendkultur. Ein Beitrag zur Endzeithysterie.

Man kann die Frage bei jedem Buch stellen und über die Antworten, die jeder für sich findet, für alle Zeiten miteinander streiten: Wozu wurde dieses Buch geschrieben? Das Wozu ist in der Literatur nichts eindeutig Festzumachendes, das ist das Wunderbare. Vielleicht ließe sich als ein gutes Buch jenes bezeichnen, bei dem es auf diese Frage viel Antwort gibt, oft auch streitbare Antwort, sodass sich zwischen den Lesenden ein Gespräch entwickelt. Ein besonders geläufiges Mittel, um Diskurs anzuregen, ist in der Kunst die Provokation. Provokation ist Herausforderung, ist Tabubruch und Normverletzung. Die meisten werden heute damit speziell etwas sehr Lautes, Unangenehmes, Übertriebenes assoziieren, literarisch vielleicht einen konfrontativen Text, der ohne poetische Extravaganzen auskommt, sondern mit den simplen Mitteln der alltäglichen oder gleich der Jugendsprache die Leserschaft reizt.

Wahrscheinlich würden viele Sibylle Bergs neuen Roman „GRM. Brainfuck“ als das bezeichnen, wenn sie ihn läsen: als laut, unangenehm, übertrieben, als ein Buch, das so drastisch wie möglich und auf die Spitze getrieben alle Abscheulichkeiten, die unsere Welt heute zu bieten hat, direkt anspricht, und das passenderweise mit den sprachlichen Mitteln aktueller Jugendkultur, worauf der Titel „GRM“ hinweist, das als Kürzel weniger für eine „Gruppe Revolutionärer Marxisten“ steht, wie man vielleicht meinen könnte, sondern für „Grime“, einer britischen Spielart des Hip-Hop – „GRM“ klingt mündlich, bevorzugt einfache Satzstrukturen und Ellipsen, baut angesagte Kürzel wie „OMG“, „LOL“ oder „WTF“ ein und zitiert ein paar englische Grime-Lyrics.

Dass „GRM“ dabei keine Dystopie sein soll, sondern, wie es auf dem Buchrücken heißt, das Leben im jetzigen Großbritannien schildere, könnte man als weiteres Indiz dafür deuten, dass der Roman mit jenem Provokationskonzept arbeitet, das über die vergangenen Dekaden ein Klassiker geworden ist und zumindest ein kleines Maß an medialer Aufmerksamkeit garantiert: „GRM“ übertreibt und verzerrt bewusst, beleuchtet die Szenerie mit jenem bewährten Schwarzfilter, der alles monochrom in die bekannte Berg'sche zynische Düsternis taucht, in der die Erzählinstanz die Figuren mit distanziertem, mitleidlosem, verächtlichem Blick begleitet, dem sich das menschliche Dasein als einziges sinnloses Elend darbietet.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.