Nach dem historischen Misstrauensvotum der Investoren wackelt der Sessel von Bayer-Chef Baumann gewaltig. Große Anteilseigner sind unzufrieden, dass der Aufsichtsrat den Vorstand deckt.
Leverkusen/Wien. Kostet die umstrittene Übernahme von Monsanto Bayer-Chef Werner Baumann doch noch seinen Job? Einen Tag nachdem sich der Vorstand des Agrarchemie- und Pharmakonzerns auf der Hauptversammlung eine schallende Ohrfeige abgeholt hat, verdichten sich Anzeichen, dass der Ärger etlicher Großaktionäre damit nicht besänftigt ist.
Bei der 13-stündigen Hauptversammlung musste Werner Baumann nicht nur viel Kritik an seinem Kurs einstecken, er holte sich auch ein rares Misstrauensvotum seiner Aktionäre ab. 55 Prozent der Anteilseigner verweigerten dem Unternehmenschef die Entlastung. Noch nie ist ein DAX-Vorstand bisher an dieser Hürde gescheitert. Üblicherweise ist die Entlastung des Vorstands bei Aktiengesellschaften reine Formsache. Schon Zustimmungsraten von unter 90 Prozent werden als miserables Ergebnis gewertet. Dass sich tatsächlich die Mehrheit der Investoren (gemessen an den gehaltenen Aktien) zur glatten Ablehnung hinreißen lässt, ist außergewöhnlich.
Ebenso außergewöhnlich war, was danach kam. Der Aufsichtsrat rund um Werner Wenning machte keine Anstalten, sich vom Ärger der Aktionäre anstecken zu lassen. Weit nach Mitternacht stellte sich der 77-jährige Wenning im Namen des Aufsichtsrats hinter seinen Vertrauten Baumann und dessen Strategie, die zur strittigen Monsanto-Übernahme geführt hatte.
Umbau im Aufsichtsrat?
Das wollen etliche Großaktionäre nicht so einfach hinnehmen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Insider. Die zitierten Anteilseigner sehen den Schritt als Beweis dafür, dass der Konzern die Anliegen seiner Eigentümer nicht mehr ernst nehme – und legen einen Forderungskatalog vor. Demnach soll in einem ersten Schritt das Kontrollgremium personell umgebaut und Baumanns Strategie – vor allem in Hinblick auf die drohende Prozesslawine in den USA – noch einmal auf Herz und Nieren geprüft werden. Auch eine mögliche Aufspaltung des Konzerns in einen Agrarchemie- und einen Pharmabetrieb dürfe nicht mehr tabu sein.
Es wäre eine radikale Änderung für den 150 Jahre alten Traditionsbetrieb. Aber das Unternehmen hat sich in den letzten Monaten derart ins Eck gespielt, dass alle Optionen denkbar scheinen. Mit der Übernahme des US-Rivalen Monsanto hat sich der deutsche Konzern enorme Rechtsrisiken in den USA eingekauft. Das Unternehmen sieht sich dort mit 13.400 Klagen vermeintlicher Opfer des Monsanto-Produkts Roundup konfrontiert. Der glyphosatbasierte Unkrautvernichter steht unter Verdacht, krebserregend zu sein. In zwei erstinstanzlichen Urteilen haben Geschworene den Klägern im Vorjahr je 80 Mio. Dollar Schadenersatz zugesprochen.
Anleger werfen dem Bayer-Chef vor, das Klagsrisiko unterschätzt zu haben. Der Wert des Unternehmens sank binnen eines Jahres um mehr als ein Drittel. Bayer ist heute nur noch 57 Milliarden Euro wert – das ist in etwa die Summe, die Bayer für Monsanto bezahlt hat. Als Nebenwirkung muss das Unternehmen sparen und streicht in Deutschland etwa jeden siebten Job. Baumann verteidigte seine Strategie hingegen auch auf der Hauptversammlung: Das Management sei gut auf die Übernahme vorbereitet gewesen. Ein externes Gutachten habe das Haftungsrisiko als gering beurteilt. Zudem seien sich Zulassungsbehörden weltweit einig, dass Glyphosat bei richtiger Anwendung keine Gefahr für den Menschen darstelle. Bayer hofft auf die Berufungsverfahren, in denen nicht mehr Laien, sondern Berufsrichter entscheiden. Diese könnten den wissenschaftlichen Gutachten mehr Gewicht einräumen, so die Erwartung.
Hoffen auf eine zweite Chance
Fraglich ist, ob der Mittfünfziger diese Verfahren noch als Bayer-Chef erleben wird. Die Berufungsverfahren dürften frühestens Ende 2019 starten. Der Aufsichtsrat setzt jedenfalls auf Kontinuität und will die Prozesse in jedem Fall abwarten. Die Großaktionäre sind gespalten. Während manche nach radikalen Neuerungen rufen, sind etliche bereit, Baumann eine zweite Chance zu geben, um das Unternehmen nicht zusätzlich zu destabilisieren. „Ein neues Management würde das Chaos noch vergrößern“, meinte Deka-Fondsmanager Ingo Speich. Und Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ist der Meinung, der Vorstand solle an Bord bleiben, um „den Karren wieder aus dem Dreck“ zu ziehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2019)