100 Jahre Gemeindebau: „Ein Orchester für alle Wiener"

Trommelwirbel. Thomas Schindl und Kathrin Gaál beim Location-Check für das Konzert.
Trommelwirbel. Thomas Schindl und Kathrin Gaál beim Location-Check für das Konzert. (c) die Presse (Carolina Frank)
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Zum 100. Geburtstag des Gemeindebaus spielen die Wiener Symphoniker ein Festkonzert am Rennbahnweg.

Falco ist hier aufgewachsen, Natascha Kampusch wurde von hier entführt. Auch sonst ist der Gemeindebau am Rennbahnweg eher nichts für schwache Nerven. Der Bau, der zwischen 1973 und 1977 in Plattenbauweise errichtet wurde, galt als sozialer Brennpunkt: Raubüberfälle, Messerattacken, Schusswechsel oder Einbrüche jugendlicher Banden waren lange Zeit an der Tagesordnung. Weil die Kriminalitätsrate zu Beginn so hoch war, wurde 1977 eine eigene Polizeiwachstelle am Rennbahnweg eröffnet (die mittlerweile personell aufgestockt in die nahe gelegene Puchgasse übersiedelt ist). Immerhin leben rund 8000 Menschen in 2400 Wohnungen in der Rennbahnweg-Siedlung. Die Stadt Wien versuchte mit verschiedenen Maßnahmen, die Lage zu entspannen. Offenbar mit Erfolg. „Ein Pro­blemkind wurde erwachsen", titelte der „Kurier" 2017. Und Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina sagte 2018 in einem Interview mit der „Wiener Zeitung" zur Situation am Rennbahnweg: „Das hätte kippen können. Es wurde aber rechtzeitig mit sozialen Einrichtungen gegengesteuert. No-Go-Areas gibt es heute nicht in Wien."

Abseits der Hochkulturtempel. Eine Anfang der 2000er-Jahre durchgeführte Studie, die sich als „Lebensweltanalyse" mit der Situation und Zufriedenheit der Bewohner befasste, hatte unter anderem zum Ergebnis, dass die Sicherheit in der Wohnanlage positiv beurteilt wurde und die Mehrheit der Befragten eine starke Verbundenheit zu ihr empfindet und zur Nachbarschaftshilfe bereit ist.

Kein Wunder also, dass der Rennbahnweg auch in den Jubiläumsfeierlichkeiten zu „100 Jahre Rotes Wien" eine zentrale Rolle spielt. Nicht nur das Rote Wien, sondern auch der Gemeindebau an sich feiert heuer 100. Geburtstag. Obwohl dieser gar nicht mehr so rot ist, wie das seine Schöpfer gern hätten: Laut einer Wahlbefragung des Umfrageinstituts Sora unter Gemeindebaubewohnern wählten im Jahr 2015 42  Prozent Rot und 47 Prozent Blau. 1919, beim Bau des ersten Wiener Gemeindebaus, dem Metzleinstaler Hof im fünften Bezirk, war das noch ganz anders. Und die Gemeindewohnungen sind nach wie vor ein wichtiges Wählerpotenzial: Mittlerweile wohnt nach Angaben der Stadt rund eine halbe Million Wiener in 220.000 Gemeindewohnungen.

„Zugang zu Kunst und Kultur gehört zur Gründungsidee des Gemeindebaus.“
„Zugang zu Kunst und Kultur gehört zur Gründungsidee des Gemeindebaus.“(c) die Presse (Carolina Frank)

Am 19. Mai wird der Rennbahnweg jedenfalls zur großen Bühne: Die Wiener Symphoniker geben hier um 16 Uhr ein Open-Air-Konzert. Unter der Leitung von Dirigent Patrick Hahn führen die Symphoniker Sergej Prokofieffs symphonisches Märchen „Peter und der Wolf" auf, Marko Simsa moderiert. Woher kam die Idee zu einem Festkonzert? „Wir haben ja schon vor zwei Jahren mit unseren Grätzl-Konzerten begonnen", sagt Johannes Neubert, Intendant des Orchesters. „Die Stadt wächst rasant und hat mit Herausforderungen zu kämpfen. Es gibt Bezirke, die wären für sich gesehen die zweitgrößte Stadt Österreichs. Wie sieht es da mit der kulturellen Infrastruktur aus?"

Die Idee der Grätzl-Konzerte nahm Gestalt an: Ein paar Mal im Jahr verlassen die Symphoniker ihre traditionellen Spielstätten im Musikverein und im Wiener Konzerthaus und kommen zu ihrem Publikum in neue und ungewöhnliche Konzertorte im Herzen der Wiener Gemeindebezirke. Ganz neu ist die Idee nicht, weiß Neubert: „In der Zwischenkriegszeit gab es Arbeiterkonzerte, nach dem Krieg Gemeindebaukonzerte." Im Reaktor in Ottakring (dem früheren Etablissement Gschwandner, einem ehemaligen Tanzsaal aus der k. u. k. Zeit) haben die Symphoniker gespielt, in der Sargfabrik in Liesing, der Simm-City in Simmering, der Ankerbrotfabrik in Favoriten. Thomas Schindl, Orchestervorstand und Schlagwerker der Wiener Symphoniker, hat bei den letzten Grätzl-Konzerten mitgespielt. „Ich habe das Publikum als unglaublich herzlich erlebt. Die Menschen freuen sich wahnsinnig, dass die Symphoniker in ihren Bezirk kommen. Meist gibt es in den Locations keinen getrennten Bereich zwischen Bühne und Saal – das macht auch den Kontakt unmittelbarer."

Jubiläumsfest. Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál hatte dann die Idee, ein eigenes Grätzl-Konzert im Gemeindebau zu organisieren: „Das Jubiläum ,100 Jahre Gemeindebau‘ soll vor allem ein Fest für die Bewohnerinnen und Bewohner des Gemeindebaus sein. Sie stehen bei diesem Jahrestag im Mittelpunkt. So ist die Idee zu einem Konzert mit den Symphonikern am Rennbahnweg entstanden, zu dem der ganze Gemeindebau eingeladen ist. Ein unmittelbarer und niederschwelliger Zugang zu Kunst und Kultur gehört zur Gründungsidee des Gemeindebaus."

Der Vermittlungsgedanke spielt bei den Grätzl-Konzerten generell eine wichtige Rolle. „Die Konzerte sind rund um ein Thema populär programmiert. Wir wählen Werke, die leichter zu hören sind und einen gewissen Wiedererkennungswert haben", sagt Thomas Schindl. „Die Symphoniker wollen ein Orchester für alle Wiener sein", fügt Intendant Neubert hinzu. „Mit den Grätzl-Konzerten erreichen wir Menschen, denen Hochkultur-tempel suspekt sind, obwohl sie klassische Musik mögen."

Tipp

„Peter und der Wolf". Das Jubiläumskonzert zum 100. Geburtstag des Wiener Gemeindebaus findet am 19. Mai um 16 Uhr am Rennbahnweg 27 statt. Open Air, Eintritt frei.

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