„Balanceakt“: Plötzlich unheilbar krank

Marie (Julia Koschitz) ist als Architektin erfolgreich, bis sie an MS erkrankt.
Marie (Julia Koschitz) ist als Architektin erfolgreich, bis sie an MS erkrankt.(c) ORF (Hubert Mican)
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Der ORF/ZDF-Film „Balanceakt“ handelt das Thema Multiple Sklerose ernst, aber auch mit Humor ab. Als Hauptdarstellerin hat Julia Koschitz mit Betroffenen gesprochen.

Erst glaubt Marie, sie habe etwas im Auge. Weil sie verschwommen sieht. Doch schon das Missgeschick beim Klettern, als ihre Hand versagte und ihr Sohn deshalb fast abgestürzt wäre, hätte stutzig machen müssen. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ignoriert Marie die Beschwerden, bis es nicht mehr geht. Die niederschmetternde Diagnose: Multiple Sklerose. Es dauert, bis sie sich damit abfinden kann, unheilbar krank zu sein. Dem Umfeld fällt es noch schwerer: „Nein! Das geht nicht wieder weg“, schnauzt sie ihren alten Vater an, der immer noch glaubt, es wird schon wieder . . .

Julia Koschitz ist am Welt-MS-Tag (29. 5., 20.15 Uhr, ORF2) in der Rolle der Marie zu erleben. In „Balanceakt“ spielt sie die unternehmungslustige, erfolgreiche junge Mutter und MS-Patientin. „Ich mochte von Anfang an, dass Agnes Pluch, die Drehbuchautorin, dieses schwierige Thema auf eine trotzdem lebensbejahende und positive Art und Weise verhandelt“, erzählt Koschitz der „Presse am Sonntag“.


Darf man sich lustig machen? Regisseurin Vivian Naefe zeigt den emotionalen Drahtseilakt in allen menschlichen Facetten. Da wird nicht nur geweint, auch gelacht – sogar über Maries Behinderung. Einmal lädt ihre Schwester Kerstin, das schwarze Schaf der Familie, sie zu einer Probefahrt mit dem Rollstuhl ein – was Marie als Grenzüberschreitung empfindet, wie vieles, das ihre Familie aus Liebe tut und das sie nervt. Marie läuft davon – und Kerstin nimmt, das Humpeln parodierend, die Verfolgung auf. Nur Kerstin darf sich über Maries Behinderung lustig machen – sie lacht sie nicht aus, sondern heitert sie auf. Dargestellt wird Kerstin von Franziska Weisz. „Ich habe mich sehr gefreut, endlich einmal mit ihr spielen zu können. Das hatte eine große Selbstverständlichkeit. Wir hatten sofort ein ähnliches Verständnis von dieser Schwesternkonstellation. Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit“, sagt Koschitz. „Und sie hat es mir leicht gemacht in ihrer Interpretation ihrer Figur, so direkt und trotzdem warm – auf der einen Seite eine stete Provokation zu sein und auf der anderen Seite genau der Mensch, von dem man sich gesehen und ernst genommen fühlt. Das tun die Eltern und der Ehemann schon auch, aber in ihrem Versuch, Marie zu schonen, fühlt sie sich verletzt und gedemütigt.“

Sie kenne niemanden mit MS, erzählt Koschitz. „Ich habe mich daher zur Vorbereitung auf den Film mit drei Betroffenen lang unterhalten, mit Angehörigen Gespräche geführt, viel gelesen.“ Sie habe dabei Parallelen zum Drehbuch entdeckt: „Ich habe mit drei Frauen geredet, zwischen 45 und 50, die genauso erfolgreich im Berufsleben waren, eine Familie hatten und ihr Leben sehr aktiv gestaltet haben – bis sie von der Diagnose erstmal aus dem Leben gerissen wurden. Sie haben eine ähnliche Entwicklung genommen wie Marie: Erst kommt die Abwehr, das Negieren der Krankheit und die Überzeugung, dass man das Leben, das man bis dato geführt hat, so weiterführen kann – bis zum Zusammenbruch und der Erkenntnis, dass man sich auf eine maßgebliche Veränderung in seinem Alltag und meistens in seiner Einstellung zum Leben einlassen muss. Je nachdem natürlich, wie schwerwiegend die Einschränkungen sind. Fast alle haben das trotz der Entbehrungen als etwas Positives beschrieben.“


Das Krafttier tanzen. Marie ist stark. Aber sie hat auch Angst. Irgendwann geht sie dann doch zur Schamanin und lernt dort ihr Krafttier kennen: den Silberwolf. Es dauert ein bisschen, bis sie ihn auch tanzen kann – beim Zusammenräumen zu dröhnender Heavy-Metal-Musik und mit lautem Gejaule, als stünde der Vollmond am Himmel.

„Was mich am Drehbuch angesprochen hat und was ich auch immer wieder gehört habe, ist, dass MS-Betroffene nicht als Opfer gesehen werden wollen und dass sie die Krankheit zum Teil auch als Lehrer empfunden haben“, sagt Koschitz. „Wie oft nehmen wir uns etwas für die Zukunft vor und tun es dann doch nie? Das ändert sich scheinbar, wenn man von so einer Krankheit betroffen ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2019)

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