Neun Jahre nach Kaprun: Angehörige klagen an

Neun Jahre nach Katastrophe
Neun Jahre nach Katastrophe(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Streit um 88 Millionen aus Versicherung, Beschwerde gegen Österreich vor Menschenrechtsgerichtshof. Gemäß dem Vergleich flossen bereits 13,4 Millionen Euro Entschädigung an 453 Personen.

WIEN/SALZBURG. Die Katastrophe liegt bald neun Jahre zurück: 155 Menschen starben am 11. November 2001 bei einem verheerenden Brand der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn. Noch immer gibt es keinen (Rechts-)Frieden. Mehrere Opferangehörige bzw. Überlebende wollen sich nicht länger mit jenem Vergleich zufriedengeben, der 2008 durch eine Kommission ausgehandelt wurde. Ob es zu einer Anfechtungsklage kommt, ist offen. Überdies wächst der Druck auf Österreich, da nun von Opferangehörigen erneut der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eingeschaltet wurde.

Gemäß dem Vergleich flossen 13,4 Mio. Euro Entschädigung an 453 Personen. Doch: „Hätten die Opfer gewusst, dass seitens der Gletscherbahnen Kaprun eine Versicherungssumme von rund 88 Millionen Euro vorhanden war, hätten sie den Vergleich nie unterfertigt.“ Dies sagt nun der Wiener Anwalt Gerhard Podovsovnik – im Namen von 80 Opfern. Wurden also die Opfer über die finanziellen Möglichkeiten getäuscht? Keineswegs, beteuert der Sprecher der Gletscherbahnen, Harald Schiffl. Ja, es habe eine Versicherungssumme von 88 Mio. Euro gegeben, das sei aus einer Brandschadenversicherung für Sachschäden gewesen. „Keine Versicherung für Sachschäden zahlt für Personenschäden.“ Außerdem spiele die Versicherungssumme auch insofern keine Rolle, als der nun kritisierte Vergleich als „freiwillige Zahlung“ (es flossen auch öffentliche Gelder) anzusehen sei. „Mit einer bestimmten Versicherungssumme hat dieser Vergleich nichts zu tun.“

Wie dieser Streit ausgeht, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass an etlichen Fronten gekämpft wird. So hatte Justizministerin Claudia Bandion-Ortner bei der Anwaltskammer Podovsovnik angezeigt, weil dieser ihr demonstrativ kritische Zeitungsartikel zur Kaprun-Katastrophe geschickt hatte. Konter des Advokaten: Er zeigte die Ministerin wegen Amtsmissbrauchs und Verleumdung an.

Gab es „staatliche Interventionen“?

Dass bei diesen Anzeigen nicht viel „herauskommt“, darf angenommen werden; brisanter ist die Entwicklung auf internationaler Ebene: Kürzlich sandten 80 Personen, Angehörige von Opfern bzw. Überlebende, aus Deutschland, Japan und den Niederlanden, eine neuerliche Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Darin werden „staatliche Interventionen“ im Zuge des Kaprun-Strafverfahrens angeprangert, Interventionen „wegen erheblicher Eigeninteressen“ (Verbund und Gemeinde Kaprun halten 79 Prozent Stammkapital der Gletscherbahnen AG).

Und es wird Einsicht in die internen Aufzeichnungen der Staatsanwaltschaft („Tagebuch“) begehrt, in den „geheimen Akt“, wie es heißt. Auch wird behauptet, es habe „Manipulationen“ an jenem Heizlüfter gegeben, der den Brand auslöste. Die österreichischen Gerichte waren indessen von einem Konstruktionsfehler des Geräts ausgegangen.

Schon Ende März 2009 hatten sich 55 Personen an den Menschenrechtsgerichtshof gewendet. Damals stand das Bemühen um eine Wiederaufnahme des Salzburger Kaprun-Strafverfahrens, unter anderen gegen Verantwortliche der Gletscherbahnen, wegen fahrlässiger Gemeingefährdung im Mittelpunkt. Dieses Verfahren endete mit 16 Freisprüchen.

Beiden Beschwerden ist ein zentrales Anliegen gemeinsam: Opferangehörige, Überlebende und auch Angehörige von Überlebenden wollen „angemessenen Schadenersatz“. Bei dessen Gesamtbemessung müssten laut Opferanwalt Podovsovnik auch die Willkür und die „massiven Interventionen des österreichischen Staates“ einkalkuliert werden, dies bedeute für die Opferfamilien „schwere seelische Folter seit fast zehn Jahren“.

Vorwurf: Menschenrechtsverletzung

Insofern wird in der neuen EGMR-Beschwerde eine – vorerst rein theoretische, gleichwohl stattlich anmutende – Summe beziffert: fünf Milliarden Euro. Die zugrunde liegende Rechnung: Jedem direkt Betroffenen, insgesamt um die 500 Personen, stünden nach internationalen Schadenersatzgrundsätzen zehn Millionen Euro zu – macht eben die oben genannte Gesamtsumme. Podovsovnik legt aber größten Wert auf die Tatsache, dass es „nicht nur ums Geld“ gehe. Und will diesen Betrag nicht in den Vordergrund spielen.

Prinzipiell würden die Beschwerdeführer Folgendes anstreben: Der internationale Gerichtshof möge feststellen, dass im Kaprun-Verfahren der berühmte Artikel 6 der Menschenrechtskonvention, nämlich das Recht auf ein faires Verfahren, verletzt wurde. Aufbauend auf dieser Feststellung müsste dann Österreich unter dem Druck der internationalen Staatengemeinschaft endlich die „angemessene“ Entschädigung an die Opfer leisten. Dass diese in Zeiten einer europäischen Finanzkrise– Stichwort Griechenland – mit fünf Milliarden Euro angesetzt würde, darf wohl als äußerst unwahrscheinlich eingestuft werden.

Einwendungen des Justizressorts, wonach das Kaprun-Strafverfahren wegen Verjährung nicht noch einmal aufgerollt werden könne, lässt der Anwalt nicht gelten. Und fügt hinzu: „Viele Opfer haben mit der Katastrophe noch nicht abgeschlossen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2010)

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