Wort für Wort

Warum ist die Sprachenvielfalt auf der Welt so ungleich verteilt? Eine neue Studie gibt interessante Antworten: Es liegt offenbar nicht nur an Umweltfaktoren.

Noch herrscht auf der Welt eine babylonische Sprachenvielfalt: Linguisten schätzen, dass es 6000 bis 7500 Idiome gibt (von denen viele vom Aussterben bedroht sind). Die Sprachenvielfalt ist interessanterweise sehr ungleich verteilt: Während in manchen Regionen (etwa in Papua-Neuguinea) viele kleine Gruppen mit jeweils eigenen Sprachen leben, gibt es andere Regionen (etwa Russland), wo Tausende Kilometer weit ein Idiom vorherrscht.

Warum ist das so? Eine Theorie geht davon aus, dass geografische Hindernisse – etwa Flüsse oder Gebirge – Menschengruppen voneinander isolieren und diese sich daher eigenständig entwickeln und eigene Sprachen ausbilden können. Eine andere Theorie stützt sich auf klimatische Faktoren: In Regionen, wo die Lebensmittelversorgung durch eine kurze Vegetationszeit und starke Wetterschwankungen prekär ist, müssen die Menschen zwecks Risikoausgleichs überregional kooperieren; in Gegenden mit konstant hoher Nahrungsproduktion hingegen können auch kleine Gruppen ohne viel Kontakt zu den Nachbarn florieren.

Eine internationale Forschergruppe um Xia Hua (Uni Canberra) hat diese beiden Hypothesen nun auf Herz und Nieren getestet. Die höchste Erklärungskraft hat demnach die Umweltrisiko-Hypothese: Eine lange Vegetationsperiode sowie geringe Schwankungen von Temperatur und Niederschlag begünstigen regionale Sprachenvielfalt. Aber auch die Isolationshypothese ist nicht falsch, ihr Einfluss ist aber geringer (Nature Communications, 3. 5.). Einmal mehr zeigte sich ein interessantes Phänomen: In Regionen mit hoher Sprachenvielfalt herrscht meist auch hohe Biodiversität. Allerdings kann kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden – die Forscher vermuten eher gemeinsame Ursachen.

So interessant dieses Ergebnis ist, es ist im wahrsten Sinn des Wortes nur die halbe Wahrheit: Denn Klima und Geografie erklären zusammen gerade einmal 45 Prozent der regionalen Sprachenvielfalt. Es muss also noch weitere Faktoren geben – und die dürften in der Kultur zu finden sein: So sind Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften auf andere Weise von Umweltfaktoren betroffen als Ackerbau treibende Völker. Und Migration, politische Strukturen, Konflikte oder kulturelle Hegemonie sind wohl ebenfalls wichtige Faktoren.

Auch bei der Sprachenvielfalt gilt also: Der Mensch ist nicht nur Produkt der Natur – er gestaltet seine Lebensverhältnisse immer selbst aktiv mit.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2019)

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