Wiener Festwochen: Das Wunder umgedrehter Autos

Seltsam gekleidete Männer in einem unheimlichen Parkhaus mit einer Menge verhüllter Fahrzeuge: Wohin will uns Romeo Castellucci diesmal führen?
Seltsam gekleidete Männer in einem unheimlichen Parkhaus mit einer Menge verhüllter Fahrzeuge: Wohin will uns Romeo Castellucci diesmal führen?Stephan Glagla
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Italiens Star-Regisseur Romeo Castellucci bietet in den Gösserhallen mythische Rituale: In „La vita nuova“ agieren schwarze Priester zwischen Kraftfahrzeugen.

In einer katholischen Messe folgt auf die Begrüßungszeremonien der für die spirituelle Erbauung der Gläubigen wichtige Wortgottesdienst: Lesung, Evangelium, Predigt. Erst dann wird das für die Bildung der Herzen zentrale Abendmahl gefeiert, mit Opferung, Wandlung, Kommunion, ehe der segnende Geist die Gemeinschaft entlässt.

Romeo Castellucci hat in „La vita nuova“ die Reihenfolge umgedreht. Zum Ende hin gibt es bei ihm, wie die Premiere bei den Wiener Festwochen am Mittwoch zeigte, die Liturgie des Wortes: Einer der fünf Hohenpriester, die für 50 Minuten in den Gösserhallen von Favoriten geheimnisvolle Rituale vollzogen, fragt das Publikum, ob es die Parabel vom umgedrehten Auto kenne. Seine Antwort auf Französisch (mit deutschen und englischen Übertiteln): Das auf das Dach gedrehte Auto sei Revolte – der Handwerker, der dekorativen Kunst gegen die freie Kunst.

Der Sprecher nennt Freiheit „das einzige Wort, das nicht von Menschen erfunden wurde“ und ihnen fremd bleibe, redet über Kunstmärkte und Ornamente sowie den Ursprung der Motoren weit vor den Automobilen. Er predigt vom alten Ägypten über das Mittelalter bis zur Gegenwart. Auch ein wenig Frauenlob erlaubt sich diese exklusive Männergesellschaft. Die Gebärenden hätten auch das Recht, sterben zu lassen. Es sind hermetische Wendungen. Der Text (Claudia Castellucci) ist der schwächere Teil dieser „Messe“. Atmosphärisch überzeugend wird sie nur dann, wenn starke Bilder entstehen, Klänge und Aktionen sich zum Ereignis formen. Dann ahnt man sogar so etwas wie Gemeinschaft, doch mitreißend wirkt diese raunende Performance nur punktuell.

Was kann es Profaneres geben als einen Ort an einer Ausfallstraße, wo einst Bier en gros gelagert wurde? Einen, an dem Autos geparkt werden. Den Großteil der Halle 1 nehmen an die 30 davon ein, die sich unter hellen Planen befinden. Nach dem Einlass dürfen sich die Zuseher nur am Rande aufstellen. Nebel kommt auf. Man hört Gezirpe, Zwitschern und Schnattern. Bald verdichtet sich die Komposition durch hallende, metallene Geräusche (Musik: Scott Gibbons). Neonröhren beginnen ein Spiel aus Hell und Dunkel, manchmal flackert eine sogar.

Propheten aus dem Herzen Afrikas

Da taucht eine Gestalt in weißem Overall zwischen den Wagen auf, trägt Reifen nach vorn zu einem Stapel, zieht sich um – eine Albe und später ein ebenso weißes, glitzerndes Messgewand sowie helle Stöckelschuhe. Bald werden fünf schwarzafrikanische Hünen in hellen, sakralen Gewändern vor dem Publikum stehen. Sie vollführen seltsame Bräuche, mit Stäben, einer Glocke, einem Hirtenstab und Blumen. Sie deuten, trommeln, klatschen, umarmen sich. Ein Ast wird einem Zuseher übergeben. Sie verneigen sich und halten einen großen goldenen Reifen hoch, den sich einer um den Hals hängt. Sie präsentieren eine Raubvogel-Attrappe, Flügel schlagend, krächzend. Wer wird hier verraten? Ist dieser dunkle Bote Totemtier einer neuen Religion wieder wandernder Propheten aus Afrikas erleuchtetem Herzen, die, vom Geist der Utopie beseelt, unsere moderne Entfremdung radikal ablehnen? Sie vollführen auf einem runden Teppich ein Ritual. Einer der Akteure wird entkleidet, mit grünem Staub aus einer antiken griechischen Urne angeschüttet und fortgeführt.

Die anstrengendste Aktion: Das Auto-Umdrehen. Erst wird ein Mercedes von der Plane befreit, hochkant gestellt, gedreht. An der Bodenplatte hängt eine antike Büste, die einer im Reifenstapel entsorgt. Bei weiteren Drehungen sieht man einen Totenschädel und ein Netz mit Orangen. Wie zur Wandlung halten die Fünf die Früchte hoch. Schließlich landet das Auto auf dem Dach.

Das passiert auch mit einem Audi mit römischem Kennzeichen. Motor und Lichter gehen an, der letzte Priester balanciert auf der Bodenplatte. Das Brummen ist noch zu hören, nachdem die Akteure längst abgegangen (und nicht für den Applaus zurückgekommen) sind. Haben sie uns gesegnet? Versprachen sie Erlösung bei dieser bizarren Auto-Show? Es bleibt ein leeres Rätsel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2019)

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