Siri Hustvedt: Memoire über die Zukunft

Sommer 1978: Die 23-jährige College-Absolventin Siri Hustvedt bricht vom Mittleren Westen zur Ostküste auf, um Schriftstellerin zu werden. In „Damals“ umkreist sie aus diversen Perspektiven ihr erstes Jahr in New York City.

Falls Sie zu den Lesern gehören, die mit unmöglich konkreten Erinnerungen gefüllte Memoiren genießen, muss ich sagen: Den Autoren, die noch Jahrzehnte später eine perfekte Erinnerung an ihre Kartoffelpuffer zu besitzen behaupten, ist nicht zu trauen“, schreibt Siri Hustvedt gleich am Anfang von „Damals“, ihrem 440-seitigen Memoire, das allerdings die Gattungsbezeichnung „Roman“ trägt. Schließlich machen „Einbildung und Erfindung mehr als drei Viertel unseres wirklichen Lebens aus“, zitiert Hustvedt an einer Stelle Simone Weil – weshalb „Damals“ von Hustvedt erzählt, ohne zu proklamieren, faktisch, das heißt objektiv wahr, von Hustvedt selbst zu erzählen.

Dass Hustvedt über sich (und ihre Lieben) fiktional schreibt, ist keine leere postmoderne Spielerei: Jahrelang hat sie sich mit der Funktionsweise des menschlichen Gehirns, der Arbeitsweise des Gedächtnisses beschäftigt und darüber auch essayistisch publiziert. Davon legt ihr zeitgleich auf Deutsch erscheinender Essayband „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“ Zeugnis ab. Wie keine andere zeitgenössische Autorin weiß Hustvedt wohl um die Komplexität des Erinnerungsvorgangs, die Veränderlichkeit jeder Erinnerung durch ihren Abruf im Gedächtnis. „Damals“ setzt der aktuellen literarischen Memoire- und Based-on-a-true-Story-Mode eine völlig andere Poetik entgegen, die gleichsam auf wissenschaftlicher Erkenntnis beruht. Mit seiner skeptizistischen Haltung gegenüber allem vorschnell behaupteten Faktischen ist „Damals“ damit zunächst einmal implizit ein Kontra-Knausgård-Manifest. Formal gesehen ist es zugleich ähnlich innovativ wie James Joyces Erstling „The Portrait of an Artist as a Young Man“, auf das Hustvedt im Text anspielt.

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