Das Treffen zweier Wahlkämpfer in Jerusalem

Sebastian Kurz traf Benjamin Netanjahu in Jerusalem.
Sebastian Kurz traf Benjamin Netanjahu in Jerusalem.APA/HELMUT FOHRINGER
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Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz besuchte am Mittwoch Israels Premier Benjamin Netanjahu. Sie sprachen über den Iran, Migration und den US-Friedensplan für Nahost.

Trotz aller interner und externer „Zores“ bewahrt Benjamin Netanjahu stets eine Lockerheit, um die ihn seine Rivalen beneiden. Israels Premier verkörpert die Routine eines Politikers, der Hochs erklommen und Tiefs überlebt hat, und in Krisenzeiten läuft er zu großer Form auf. Insofern ist der 69-Jährige womöglich ein Vorbild für Sebastian Kurz, der mit seinen bald 33 Jahren mitten in seiner ersten schweren politischen Krise steckt, einen Rückschlag eingesteckt hat und dabei ebenfalls eine erstaunliche Lockerheit ausstrahlt.

Netanjahu und Kurz verbindet ein persönliches Verhältnis, in Gang gehalten durch regen Telofonkontakt. Der Premier hat die Rede des damaligen Kanzlers im Vorjahr in Jerusalem in guter Erinnerung, als Kurz die Sicherheit Israels als „Staatsräson“ und als moralische Verpflichtung für Österreich bezeichnete.

So fiel die Begrüßung des ÖVP-Chefs im Regierungssitz in Israels Hauptstadt bei seinem 24-Stunden-Trip gestern betont herzlich aus: „Bibi“, so begrüßte der Ex-Kanzler den Premier bei seinem Spitznamen, der in Israel bei Freund wie Feind gebräuchlich ist. Netanjahu wiederum hieß Kurz als „good leader of Austria“, als „champion“ im Kampf gegen den Antisemitismus und als „Freund Israels“ willkommen. Gerade, dass er ihn nicht „Basti“ genannt hat.

Kulisse für Wahlkampffotos

Beide sind im Wahlkampf – das natürliche Elixier eines jeden Politikers. Kurz nimmt sich zu Beginn des Sommers, vor der heißen Wahlkampfphase, eine Auszeit von Österreichs Innenpolitik und spielt seine Kontakte als Ex-Außenminister aus. In der Vorwoche reiste er nach Berlin, um sich mit der CDU-Troika Merkel, Kramp-Karrenbauer und von der Leyen auszutauschen. In zwei Wochen fliegt er nach Kalifornien zu einer Tour durchs Silicon Valley. Das alles dient nebenbei prächtig als Kulisse für hübsche Wahlkampffotos.

Netanjahu hat Kurz elfeinhalb Jahre an Regierungserfahrung voraus, und dieser Tage wird er auch noch Gründervater David Ben-Gurion als israelischer Rekordpremier übertreffen. Kurz fehlen ebendiese elfeinhalb Jahre, um in Österreich an Bruno Kreisky heranzureichen.

In Israel finden die Neuwahlen – die zweiten innerhalb eines halben Jahres – am 17. September statt, zwölf Tage vor jenen in Österreich. Für Netanjahu ist die Ausgangslage komplizierter als für Kurz: Die Koalitionsfrage ist angesichts des zersplitterten Parteienspektrums diffiziler, und am 2. Oktober wird Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit wohl Anklage gegen den Premier in drei Korruptionsfällen erheben. Netanjahu wird wie ein Löwe um den Erhalt der Macht kämpfen, so viel ist klar.

Kurz hat Netanjahu mehrmals getroffen: bei der Sicherheitskonferenz in München oder bei der UN-Generalversammlung in New York und natürlich in Jerusalem. Als Außenminister, als Kanzler und nun eben als ÖVP-Chef kam er immer gern nach Israel. Zum einen ist ihm das Land, das er als Hort der Stabilität in der Region schätzt, ein Anliegen. Jedes Mal hatte er auch Begegnungen mit jüdischen Altösterreichern und Holocaust-Überlebenden wie Zvi Nigal. In Tel Aviv kam es am Mittwoch zu einem Wiedersehen. Zum anderen sieht Kurz Israel als Versuchslabor für Trends und Entwicklungen in Sicherheitsfragen und Technologie. Hier zeichnen sich Konflikte früher und mit größerer Vehemenz und Konsequenz ab als anderswo. Vor dem Abflug nach Wien inspizierte Kurz mit Sicherheitsminister Gilad Erdan eine Spezialeinheit der Polizei.

Kritik am Regime des Iran

Mit Netanjahu beriet er sich über das große Thema der Migration im Mittelmeerraum, zu dem Israel gehört, von dem es jedoch nur peripher betroffen ist. Netanjahu plädiert für eine konsequente Migrationspolitik, einen Stopp der Flüchtlinge schon südlich der Sahelzone – ganz im Sinn seines österreichischen Gasts, der davor warnt, in der Debatte „falsche Signale“ auszusenden.

Weit mehr treibt Israels Premier der Iran als Störenfried in der unmittelbaren Nachbarschaft des Nahen Ostens und in der Weltpolitik herum. Netanjahu ist berühmt-berüchtigt dafür, seine Meinung keineswegs zurückzuhalten. Kürzlich warnte er wieder vor der existenziellen Bedrohung Israels durch das Mullah-Regime und der Wiederaufnahme des Atomprogramms. Eine Eskalation im Golf ist durchaus in seinem Interesse, um sich im Wahlkampf wieder einmal als Garant der Sicherheit Israels zu positionieren. Er war von Anfang an entschiedener Gegner des Atomabkommens mit Teheran.

Kurz hat als Außenminister die Atomgespräche in Wien mit eingefädelt, jetzt verurteilt er aber den Bruch des Abkommens durch den Iran – nicht indes durch die USA im Vorjahr. Die Überschreitung der Grenze zur Urananreicherung sei nicht akzeptabel. Dass der Westen dezidiert dagegen vorgehen müsse, darin sind sich Netanjahu und Kurz einig.

Über den Kampf gegen Terrormilizen wie den sogenannten Islamischen Staat bis zum Nahost-Friedensplan des Trump-Schwiegersohns Jared Kushner führten der Likud-Vorsitzende und der ÖVP-Chef eine angeregte Diskussion. Die Gegeneinladung nach Wien ist längst ausgesprochen. Im Vorjahr musste Netanjahu wegen einer Nahost-Krise die Zusage zu einer Antisemitismuskonferenz in Wien in letzter Minute zurückziehen. Vom Wahlausgang im September wird es nun abhängen, ob es zu einer Begegnung in Wien kommen und wer dann noch oder schon wieder im Amt sein wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2019)

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