Jetzt stürzen auch Amerikas Gründerväter vom Podest

Die Betsy Ross Flag zierte einen Nike-Turnschuh.
Die Betsy Ross Flag zierte einen Nike-Turnschuh. APA/AFP/GETTY IMAGES/GEORGE FREY
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Kein Nike-Turnschuh mit alter Flagge, kein Feiertag für Sklavenhalter Jefferson: Der US-Kulturkampf ist beim Ursprung der Republik gelandet.

Donald Trump ist oft traurig. Besonders „sad“ war US-Präsident Nummer 45 vor zwei Jahren, als in Charlottesville das Reiterstandbild von General Lee entfernt wurde. Dass man den Anführer des Südstaaten-Heeres, das im Bürgerkrieg für die Beibehaltung der Sklaverei kämpfte, so einfach vom Sockel stieß, störte auch andere: Rechtsextremisten marschierten in der Stadt auf, was einer Frau das Leben kostete. Trumps Reaktion war legendär verhalten. Aber dafür bewies er in seinem initialen Anfall von Traurigkeit einen guten Riecher: „So viele schöne Statuen“ müssten „in unserem großartigen Land“ dran glauben – „was kommt als Nächstes, Washington, Jefferson?“

Richtig geraten. Der bilderstürmerische Elan jener Hälfte von Amerikanern, die sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen, hat nach den Konföderierten nun die Gründerväter der Republik erreicht. Wieder geht das Signal von Charlottesville aus: Die Heimatstadt von Thomas Jefferson feiert ihren großen Sohn künftig nicht mehr mit einem Feiertag. Denn Präsident Nummer Drei hielt auf seinem nahen Landgut Monticello 600 schwarze Sklaven. Oder, wie es der Bürgermeister formuliert: „Er züchtete Menschen für seinen wirtschaftlichen Profit.“

Woran aber auch Trump in seinen Visionen nicht dachte, ist die „Betsy Flag“, die erste Fahne Amerikas. Ihr einziger Makel: Sie stammt dem 18. Jahrhundert und damit aus der Epoche der Sklaverei. Bisher zierte sie einen Nike-Turnschuh. Das kränkte den schwarzen Ex-Football-Star Colin Kaepernick. Der hoch bezahlte Botschafter der Marke beschwerte sich bei seinem Sponsor, der sofort einknickte und den Schuh aus dem Verkehr zog. „Ich schäme mich für Nike“, twitterte darauf prompt der republikanische Gouverneur von Arizona. „Wir brauchen nicht Firmen in den Hintern kriechen, die die Geschichte unserer Nation verunglimpfen“, ließ er wissen und strich dem Konzern die Subventionen für ein neues Werk. Aber auch neutrale Experten schütteln den Kopf: Die Fahne war, anders als jene der Südstaaten, nie ein Symbol weißer Suprematisten. Sie flatterte friedlich, im Verein mit anderen Vorläufern des Sternenbanners, bei der Inauguration von Präsidenten. Wie jener von Nummer 44, Barack Obama.

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Screenshot der Seite Stockx.comREUTERS

Aber wo liegt die Grenze zwischen nötiger Neubewertung und politischer Überkorrektheit? Trump schmückt sein Oval Office mit einem Porträt von Andrew Jackson, und das ist wohl daneben: Präsident Nummer sieben mag Trump als Vorbild dienen, weil er als erster gegen die Eliten in Washington wetterte. Aber in die Geschichte ging er ein als fanatischer Indianerhasser, der mit Zwangsverträgen alle Stämme aus ihren Gebieten vertrieb – auf dem „Pfad der Tränen“ fanden unzählige Ureinwohner den Tod. Die richtige Entscheidung dürfte hingegen die Uni Yale getroffen haben, als sie 2017 eines ihrer Colleges umbenannte. Nicht mehr geehrt wird damit John C. Calhoun: Vizepräsident Nummer sieben war einer der stärksten Befürworter der Sklaverei, der in der Unterjochung der „minderwertigen“ Schwarzen kein notwendiges Übel, sondern ein „positives Gut“ sah. Damit inspiriert er bis heute Neonazis und die Anhänger des Ku-Klux-Klans.

Ein viel feiner schattierter Fall ist Jefferson. Seine Unabhängigkeitserklärung atmet den Geist der Freiheit und Gleichheit – ein flagranter Widerspruch zu seiner Praxis als Sklavenhalter. Dennoch hatte er das Leuchtfeuer entzündet, das später Abraham Lincoln und Martin Luther King den Weg wies. Freilich: Dass der Fortschritt der Menschlichkeit eine ewige Baustelle ist, dass wir jeden ehren sollten, der auf ihr etwas weiterbrachte, ohne seine Fehler und Irrtümer unter den Tisch zu kehren – eine solche Botschaft wird im Kanonenfeuer des US-Kulturkampfes nicht mehr gehört.

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2019)

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