Rumänien: Massenproteste nach Mord an 15–Jähriger

Tausende Rumänen haben vor dem Innenministerium in Bukarest am Wochenende eines ermordeten Mädchens gedacht.
Tausende Rumänen haben vor dem Innenministerium in Bukarest am Wochenende eines ermordeten Mädchens gedacht.APA/AFP/DANIEL MIHAILESCU
  • Drucken

Ein Mädchen wurde entführt – und alarmierte die Polizei. Diese schritt erst nach 19 Stunden ein. Staatspräsident Johannis macht die Regierung verantwortlich.

Bukarest/Belgrad. Mit Blumen, Kerzen und wütenden Sprechchören gegen die Inkompetenz der Polizei haben Tausende Rumänen vor dem Innenministerium in Bukarest am Wochenende eines ermordeten Mädchens gedacht: Die 15-jährige Alexandra ist zum Opfer eines Gewaltverbrechens – und des Versagens der Polizei – geworden.

Am Mittwoch war das Mädchen verschwunden, nachdem sie sich per Autostopp in ihren südrumänischen Heimatort Dobrosloveni aufgemacht hatte. Einen Tag später gelang es ihr, offenbar mit dem Telefon ihres Entführers, drei Notrufe an die Polizei mit Hinweisen auf ihren Aufenthaltsort abzusetzen. „Er kommt, er kommt“, waren die letzten Worte des Mädchens, bevor das Telefonat unterbrochen wurde. Erst nach mehr als zwölf Stunden hatten die Ermittler das Gebäude ihrer mutmaßlichen Gefangenschaft lokalisiert. Obwohl dies in Notfällen keineswegs nötig ist, beantragte die Polizei bei der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbefehl – und wartete die Morgendämmerung zum Eindringen in das Haus ab. 19 Stunden nach dem letzten, vergeblichen Hilferuf des Mädchens versuchten die Gesetzeshüter schließlich, ihr zu helfen. Der Rettungsversuch kam zu spät. Das offenbar zuvor sexuell missbrauchte Mädchen war bereits ermordet worden.

Auf dem Anwesen des 65-jährigen Täters seien „menschliche Überreste“ und der Schmuck von Alexandra gefunden worden, so die Polizei. Er gestand Sonntagnachmittag völlig überraschend, die 15-jährige Alexandra M. und die seit April verschollene 18-jährige Luiza M. getötet zu haben, nicht aber deren Vergewaltigung und Entführung. Sein Mandant habe zu Protokoll gegeben, dass die Mädchen ihn aus freien Stücken besucht hätten, um Sex zu haben, anschließend habe man sich gestritten, woraufhin er wütend und letztlich gewalttätig geworden sei, teilte dessen Pflichtverteidiger, Alexandru Bogdan, mit.

In Bukarest hat derweil das große Stühlerücken begonnen. Innenminister Nicolae Moga setzte den nationalen Polizeichef, Ion Buda, vor die Tür. Es seien „drastische Maßnahmen“ nötig, begründete er dessen Entlassung. Für die Demonstranten, die am Wochenende vor das Innenministerium zogen, ist das Bauernopfer nicht genug – sie fordern den Abtritt der gesamten Regierung. Denn sie machen vor allem die Politik für die Inkompetenz und Ineffizienz der Polizei und der Staatsanwaltschaft verantwortlich.

Regierung gerät unter Druck

Statt in die Stärkung einer unabhängigen Justiz sowie einer schlagkräftigen Polizei zu investieren, haben sich die seit Anfang 2017 regierenden Sozialisten (PSD) lang ausschließlich damit beschäftigt, den Justiz- und Polizeiapparat unter ihre vollständige Kontrolle zu bringen: Die Lancierung von loyalen Parteikadern in den Spitzenämtern von Polizei und Justiz hat die Fachkompetenz in Rumäniens Sicherheitsapparat keineswegs erhöht. Seit der Verhaftung des wegen Amtsmissbrauchs verurteilten PSD-Chefs Liviu Dragnea im Mai ist Regierungschefin Viorica Dăncilă von den umstrittenen Justizreformen zwar zumindest rhetorisch etwas abgerückt.

Doch auch Staatschef Klaus Johannis sieht die Regierung im Fall Alexandra mit in der Verantwortung: Es sei „zwingend nötig“, dass all diejenigen ihren Rücktritt erklärten, die mit dem Fall falsch umgegangen seien. Er legte Ministerpräsidentin Viorica Dancila nahe, "sich zu fragen, ob sie nicht etwa der moralische Täter" der Tragödie von Caracal sei. 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Nicht nur in der Hauptstadt Bukarest gingen am Wochenende Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Behörden zu demonstrieren.
Weltjournal

Polizeiversagen: Rumäniens Innenminister nach sechs Tagen zurückgetreten

Es gibt neue Details zu dem verheerenden Polizeiversagen im Fall zweier getöteter Mädchen. Eines der Opfer bat man am Notruf, „die Leitung nicht länger zu belegen".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.