Deutschland: „Schuldenbremse aufgeben“

Marcel Fratzscher.
Marcel Fratzscher.(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Die Schuldenbremse sei schädlich und solle zugunsten von Investitionen gelöst werden, fordern Ökonomen.

Berlin. Zu einer Abkehr von der Schuldenbremse hat der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die deutsche Bundesregierung aufgefordert. „Die Schuldenbremse ist unsinnig und schadet Deutschland“, sagte Fratzscher am Montag. Denn sie verlange von der Bundesregierung, „dass sie jetzt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Überschüsse macht und keine weiteren Ausgaben zur Stabilisierung der Wirtschaft und Sicherung der Arbeitsplätze tätigen darf“.

Hintergrund ist, dass zuletzt auch noch die Rendite für 30-jährige Bundesanleihen ins Minus rutschte. Damit sind die Finanzierungsbedingungen historisch günstig, der Staat verdient sogar noch an der Ausgabe neuer Anleihen – während Investoren dafür zahlen, ihr Geld in als sicher geltenden Anlagen gut aufgehoben zu wissen.

Dass sie dazu bereit sind, hängt mit den ungewissen Konjunkturaussichten zusammen: Die deutsche Privatwirtschaft ist zu Beginn des zweiten Halbjahres so langsam gewachsen wie seit über sechs Jahren nicht mehr. Der gemeinsame Einkaufsmanager-Index für Industrie und Dienstleister fiel im Juli um 1,7 auf 50,9 Punkte, wie das Forschungsinstitut IHS Markit am Montag mitteilte. Das Barometer liegt damit nur noch knapp über der Wachstumsschwelle von 50 Zählern. Bereits im zweiten Quartal dürfte Europas größte Volkswirtschaft laut Expertenschätzungen nicht mehr gewachsen sein.

„Belastung für künftige Generationen“

„Die Schuldenbremse ist nicht mehr zielführend, denn die Bedingungen haben sich geändert“, sagte auch der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), Michael Hüther. „Wenn wir jetzt nicht investieren, belasten wir nicht nur die jetzigen Generationen, sondern bürden auch den künftigen einen noch höheren Investitionsbedarf auf.“ Er schlägt einen föderalen Investitionshaushalt vor, der für die kommenden zehn Jahre mit einem dreistelligen Milliardenbetrag ausgestattet werden sollte – etwa für die Sanierung von Brücken, die Verbesserung der Bahn und den flächendeckenden Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G. Auch Fratzscher will zusätzliche Schulden für Investitionen nutzen.

Kanzlerin Angela Merkel hat sich zuletzt für die Schuldenbremse starkgemacht. Für den Bund gilt diese schon seit 2016. Die deutschen Bundesländer dürfen ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen. (Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2019)

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