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Frequency: Meine momentane Lage ist zu sexy

Sucht man am Frequency nach musikalischer Qualität, wird man in der Halle fündig. Dort triumphierte diesmal der deutsche Popartist Drangsal.
Sucht man am Frequency nach musikalischer Qualität, wird man in der Halle fündig. Dort triumphierte diesmal der deutsche Popartist Drangsal. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Capital Bra amüsierte, Charli XCX bezirzte und Drangsal lockte in gefährliche Sphären. Am Schlusstag des diesjährigen Frequency plätscherte es angenehm dahin.

Der Deutsche ist nicht bloß einer, der einzig mit Russen, die Birken lieben, sympathisiert. Das zeigte schon das Lebenswerk des in Berlin-Spandau geborenen Hans Rolf Rippert. Unter seinem Kampfnamen Ivan Rebroff beglückte er jahrzehntelang mit imaginärer Folklore à la Russe. Das Lied der Wolgaschlepper war genauso in seinem Repertoire wie Schwarze Augen und der Kosakentanz Hopak. Nachdem der Eiserne Vorhang gelüftet war, ging der Bedarf an Retrorussen dramatisch zurück. Auch weil der „Nowy Russki“, der wirtschaftlich erfolgreiche Russe, sich vermehrt in Deutschland zeigte.

Die Eltern von Rapper Capital Bra zählen dazu, der Filius selbst driftete zunächst Richtung Absturz. Schulabbrecher, Schläger, schlechter Fußballer hießen seine Stationen, ehe er im Rap aktiv wurde, einer Kunstform, in der Verhaltensauffällige traditionell Asyl finden. Nach recht kurzem Anlauf machte er als Capital Bra (Abkürzung von Bratan, des russischen Wortes für Bruder) größtmögliche Karriere. Live brachte er allerdings die (vermutete) Ironie seiner Rowdyraps nicht über die Rampe.

Schon der Beginn war ungeschickt. Eine Stimme aus dem Off belehrte zu Fanfaren darüber, dass Capital Bra hitparadenmäßig erfolgreicher ist als ABBA und Konsorten. Das war schlechter Stil, der vermuten lässt, dass Capital Bras Protzen und Prunken in seinen Stücken gar nichts mit lustvoller Übertreibung zu tun hat. „Bra, wir tragen Rolex (Original), mhm, hajde, Bratan, bring mir Tilidin. Viel zu viele wollen, dass wir fallen (viel zu viele, Bra). Mhm, ja, Kolleg, willkommen in Berlin (ba-ba-bam-bam).“ Berlin, deutsche Hauptstadt der Clankriminalität, ihr Sound ist längst nicht mehr der Techno. Der ist Nostalgie. Der aktuelle Berlin-Soundtrack wird von Nichtmuttersprachlern aus allen Windrichtungen geprägt. Capital Bras Mix aus russischem Akzent, verkrüppelter Syntax und patscherten Reimen fasziniert auf Tonträger. Krude Poesie wie „Eine Roli in der Farbe einer Pepsi, meine momentane Lage ist zu sexy (aah)“ amüsieren.

Zu sehr in die Breite gespielt

Statt zügig durchs reiche Repertoire zu rodeln, machten die beiden Rapper live aber viel zu häufig Pausen mit zweifelhaften Publikumsanimationen. Im Fußballerjargon: Sie haben zu sehr in die Breite gespielt, es verabsäumt zu knipsen. „Roli Glitzer Glitzer“ spielten sie gar dreimal. Trotz aller Hits war die Stimmung recht verhalten. Einzig bei der köstlichen Coverversion von Modern Talkings „Cheri Lady“, die bei Capital Bra zu „Cherry Lady“ wird, wurlte es so richtig. „Cherry, Cherry Lady, du bist was Besondres, eine Frau fürs Leben oder für 'ne Nacht“, sang Capital Bra im gleichen Singsang, den Rebroff (und besser noch Shmuel Rodensky) schon in den Sechzigerjahren in der Rolle des Milchmanns Tevje im Musical „Anatevka“ in Deutschland etabliert hatte. „Lass uns heute frei sein, nur für diese Nacht, le le le le“, hieß es da schelmisch.

Verführung war auch im Talon der 27-jährigen britischen Sängerin Charli XCX, die derweil die kleinere Green Stage bespaßte. Die Hochtalentierte, die schon Welthits wie „Fancy“ (Iggy Azalea) und „I Love It“ (Icona Pop) komponiert hatte, surfte dynamisch durch ihr Repertoire. Von „1999“ über „Girls Night Out“ bis hin zum aktuellen „Gone“, das sie mit Christine & The Queens aufgenommen hatte, folgte ein Trumpf dem anderen. Sweet and sexy. Ganz anders als die jämmerlichen Turbobier, die, wie sie sagten, ein „polizeifeindliches Liebeslied“ nach dem anderen anstimmten. Dumpfer geht es wirklich nicht mehr. Sucht man am Frequency nach musikalischer Qualität, wird man häufig in der Halle fündig. Dort triumphierte dieses Jahr der deutsche Popartist Drangsal mit Liedern seines aktuellen Meisterwerks „Zores“. Endzeitgitarrenmusik, die an der Ästhetik von The Cure geschult war. Vor einem Hintergrund von Weißwurst zuzelnden Bayern stieg Drangsal in die Nebel seines Unbewussten und ästhetisierte Deprimierendes. Er tat es frohgemut. Und er stellte wesentliche Fragen wie „Magst du mich, oder magst du bloß noch dein altes Bild von mir“. Bereits bei den ersten Songs „Eine Geschichte“ und „Sirenen“ schlug ihm die schwärmerische Sympathie junger Menschen entgegen. Auch das war sexy.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2019)

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