Rollkoffer und Vollkoffer

Warum brauchten wir so lang, um den Rollkoffer zu erfinden?
Warum brauchten wir so lang, um den Rollkoffer zu erfinden?imago images / Westend61
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Warum brauchten wir so lang, um den Rollkoffer zu erfinden? Die Antwort verrät viel über uns selbst.

Der Mensch ist ein geniales Wesen. Vor 6000 Jahren erfand er das Rad, und schon damals transportierte er in Säcken. Der Mensch ist aber auch ziemlich dumm: Der winzige Innovationsschritt, Gepäck und Räder zu einem funktionstauglichen Rollkoffer zu kombinieren, gelang ihm erst 1987, nach Auto, Computer und Mondlandung. Was hat sein so üppig dimensioniertes Hirn so lang benebelt? Zunächst Standesdünkel: Reisen war etwas für Reiche, zu deren Prestige es gehörte, sich Träger leisten zu können. Sodann Strukturkonservativismus: Die von Jobverlust bedrohten Träger hatten keine Lust auf Umschulung. Und schließlich archaische Rituale der Männlichkeit: Die Machos wollten weiter schleppen, um den Miezen zu gefallen. So erklärte zumindest der Anmelder des Trolleypatents von 1970 den Misserfolg seiner Idee.

Freilich wäre seine Konstruktion auch dem Steinzeitmenschen zu blöd gewesen: vier Räder auf der Längsseite und eine herumgewickelte Schnur, an der man das Gepäckstück ziehen musste wie einen Hund an der Leine. Noch dazu, da es flach am Boden auflag, in gebückter Haltung. Das hatte etwas Demütigendes. Es brauchte erst einen pfiffigen Piloten, um die Menschheit von ihrer Schmach zu erlösen: nur zwei Räder, an der Schmalseite montiert, Kippstellung und Teleskopgriff – heureka! So gleiten wir nun elegant durch Terminals und Hotelhallen, bis in eine gloriose Zukunft, in der man die Dinger auch vernünftig in Flugzeuggepäckfächern verstauen kann. Das dürfte dauern. Denn bisher erwies sich der Mensch in Sachen Rollkoffer als Vollkoffer.

karl.gaulhofer@diepresse.com


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Gabriel Rath

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2019)

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