Der Wahlkampf der zwei Millionen Kugelschreiber

Wahlplakat der ÖVP von 2017
Wahlplakat der ÖVP von 2017(c) REUTERS (Heinz-Peter Bader)
  • Drucken

Wer ist kreativer? Die ÖVP des Sebastian Kurz? Oder seine publizistischen Gegner? Noch ist diese Frage nicht ganz eindeutig zu beantworten.

Da wäre die Sache mit den Kugelschreibern. Zwei Millionen hat die ÖVP für den Wahlkampf 2017 bestellt. Um 130.000 Euro. Der „Falter“ schreibt nun, dass die ÖVP Kosten und Zeit gesplittet habe: 17.356 Euro seien für vier Monate Wahlkampf veranschlagt worden, der Rest von 112.814 Euro für die gesamte Legislaturperiode unter „laufender Aufwand“. Womit man dann eben, so der Vorwurf, für die zwei Millionen Kugelschreiber, die im Wahlkampf verwendet wurden, im Wahlkampf nur 17.356 Euro verwendet hätte, was das Einhalten des Wahlkampfkostenlimits erleichtert hätte, das dann ohnehin nicht eingehalten wurde.

Falsch, sagt die ÖVP. Sie habe alle Kulis als Wahlkampfkosten angegeben. Und könne das vor Gericht beweisen. Weswegen die ÖVP den „Falter“ nun klagt. Nicht nur wegen der Kugelschreiber. Weitere Vorwürfe, die nicht stimmten, würden sich im Text finden. In der ÖVP glaubt man, dass die eigene Wahlkampfkostentabelle, die sich im „Falter“ wiederfand, auf diversen Positionen manipuliert worden sein könnte – nicht vom „Falter“, sondern von demjenigen, der ihm die ÖVP-internen Dokumente übergeben hat.


Die Angelegenheit wird nun also einmal bei Gericht verhandelt. Fest steht jedenfalls, dass die ÖVP im vergangenen Nationalratswahlkampf die Wahlkampfkostenobergrenze deutlich überschritten hat. Wohl mit Anlauf. Und fest steht auch, dass der politische wie auch der publizistische Gegner in diesem Wahlkampf nichts unversucht lassen, die ÖVP des Sebastian Kurz zu Fall zu bringen. Die „Schredder-Affäre“ war dazu jedenfalls nicht unbedingt geeignet, tagelange Aufregung versandete mehr oder weniger im Nichts.

Der „Falter“, der Kurz einst zum „Messias“ ausrief und das selbstredend nicht bewundernd meinte, sondern damit dessen Abgehobenheit und die Ergebenheit seiner Anhänger zum Ausdruck bringen wollte, arbeitet neben anderen derzeit fleißig mit am Bildnis des (heiligen) Sebastian, der alle Pfeile auf sich zieht. Diese Märtyrerrolle gefiel Kurz schon 2017, sie gefällt ihm nun, da er von einer rot-blauen Allianz unter dem Beifall der linksliberalen Medienszene aus dem Amt gedrängt wurde, umso mehr. Nach dem alten Haider-Slogan „Einer, der unsere Sprache spricht“ hätte eigentlich auch noch der alte Haider-Schlager „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ sehr gut gepasst.

Wie ausgerechnet der freundliche, höfliche, adrette Sebastian Kurz zu einer derart übermächtigen Reizfigur im Denken der Mitbürger links – zum Teil auch rechts – der Mitte werden konnte, wäre auch noch einmal eine tiefenpsychologische Analyse wert. Jörg Haider hat gepoltert, gedroht, geschimpft, mit der dunklen Vergangenheit kokettiert – dass so jemand polarisiert, kein Wunder. Aber Sebastian Kurz? Ihm fehlt dieser diabolische Zug völlig.

Aber wahrscheinlich kann Nettigkeit gepaart mit Machtwillen auch verstören. Letzteren kann man Kurz nicht absprechen. Und man kann es auch so sehen: Kurz will etwas. Er hat eine Vorstellung von diesem Land. Allen voran sollen dessen Identität, seine Wettbewerbsfähigkeit und sozialstaatliche Treffsicherheit bewahrt (oder wiederhergestellt) werden. Diese vorrangige Vorstellung teilen nicht alle, aber es reicht für einen 15-Prozentpunkte-Vorsprung auf den in den Umfragen Zweitplatzierten.

Der Machtwille zeigt sich dann aber eben auch in einer Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Philosophie: Es haben immer alle so gemacht, jedenfalls von den Großen, also machen wir es jetzt auch so, vielleicht nur weniger plump. Bei der Wahlkampf- und Parteienfinanzierung wird man der ÖVP nach jetzigem Stand keine illegalen Machenschaften nachsagen können. Aber sie hat die Möglichkeiten kreativ bis dreist bis an die Grenzen ausgereizt. Es sieht nicht schön aus, ist aber effektiv.

Anything goes. Solange der Rechnungshof keinen Einblick in die Buchhaltung der Parteien bekommt. Aber daran ist wiederum nicht die ÖVP (allein) schuld. Da sind auch Rot und Blau dagegen. Auch die beiden werden wohl ihre Gründe haben.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.