Angriff der Kaffeekapseln: Mokkakännchen in Gefahr

Espressokännchen
Espressokännchen (c) Philipp Splechtna
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In Italien lohnt sich die Produktion der Mokkakännchen mit dem Schnurrbartmännchen von Bialetti nicht mehr, seit es Kaffee aus Kapseln gibt. Das historische Werk sperrt zu.

Aufschrauben, Wasser rein, Kaffeepulver in den Trichter – genau dosiert, nur ja nicht zu wenig. Oberteil auf die Kanne setzen, zudrehen. Herd an, Kanne drauf. Warten. Bis es leise brodelt und der Duft verrät, dass der Mokka fertig ist. Die langsame, feierliche Zeremonie, die nicht nur in Italien jeden Tag einläutet, gerät in Gefahr.

Sterile All-inclusive-Maschine, Kapsel rein, Knopf drücken, Kaffee fertig – so sieht die neue Kaffeekultur aus. Eine klassische alte Herdkanne, einen Perkulator, braucht man nicht mehr. Seit Kurzem ist es offiziell: In Italien lohnt sich die Produktion der achteckigen Kannen von Bialetti nicht mehr.

Der Traditionsbetrieb im norditalienischen Omegna wird geschlossen, die Herstellung wird nach Bulgarien und in die Türkei verlagert, schließlich ist das Personal dort viel billiger. Und immerhin stammen von dort auch die Kannen der Konkurrenz, die dem Original von Bialetti (zumindest optisch) zum Verwechseln ähneln, aber viel billiger bei Ikea und Co. verkauft werden und dem italienischen Traditionsbetrieb zusätzlich zusetzen.


Das Schnurrbartmännchen wandert aus.Im Piemont ist man geschockt. Schließlich gehört der „Omino coi Baffi“, das Männchen mit Schnurrbart, Hut, müden Augen und Fliege, zur Kultur Italiens wie Vespa oder Pizza. Bialetti produziert die achteckigen Mokkakannen (fälschlicherweise nennt man sie auch Espressokannen, dabei ist der Druck in den Kannen nicht hoch genug, um echten Espresso herzustellen) seit 77 Jahren. Seither sollen sie mehrere hundert Millionen Mal gebaut worden sein. Bialetti bekundet stolz, in neun von zehn italienischen Küchen stehe eine „Moka Express“. Aber nicht nur dort, sogar ins New Yorker Museum Of Modern Art (MOMA) hat das Mokkakännchen seinen Weg gefunden.


Vorbild Waschmaschine. Dabei begann die Erfolgsgeschichte mit einem Zufall. Alfonso Bialetti, ein italienischer Handwerker mit Erfindergeist, war gerade aus Frankreich zurückgekehrt, wo er in einem Aluminiumwerk gearbeitet hatte. Er gründete eine kleine Fabrik in Crusinallo, einem Dorf nahe des Lago Maggiore.

Dort beobachtete Alfonso Bialetti einmal, wie die Frauen damals ihre Wäsche wuschen: Sie benutzten dafür einen abgedichteten Heizkessel, darüber ein Metallkorb mit Wäsche. Wasser und Seife wurden erhitzt, stiegen durch ein Rohr nach oben und flossen so über die Wäsche.

Bialettis zündende Idee: Man könne doch Kaffee brauen, indem man Wasser durch gemahlenes Kaffeepulver nach oben drückt, statt Espresso, wie damals üblich, nur mit hohem Druck in den großen Maschinen in Bars herzustellen.

Der Idee folgten technische Probleme. Bialetti brauchte bis 1933, um sie zu lösen. Schließlich brachte er die erste komplett aus Aluminium gefertigte „Moka Express“ auf den Markt. „In casa un espresso como al bar“ (zu Hause ein Espresso wie in einer Bar) – so warb Bialetti für seine Kannen. Für großes Marketing fehlte aber das Geld, also pilgerte Bialetti – so sagt es die Firmenlegende – persönlich jedes Wochenende durch das Piemont, von einem Markt zum nächsten und verhalf seiner Kanne zu regionaler Berühmtheit. Zwischen 1934 und 1939 wurden 70.000 „Moka Express“ verkauft.

Der Aufstieg kam nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Alfonso Bialettis ehrgeiziger Sohn Renato begründete den Weg zum Weltruhm – so, wie es heute Nespresso und Co. machen – mit offensivem Marketing.


Rekordverdächtig. In den 1950er-Jahren startete er eine groß angelegte Werbekampagne, erst in Italien, dann in ganz Europa, schließlich in den USA. Auch das Logo, das Männchen mit dem Schnurrbart (das angeblich eine Karikatur des Firmengründers Alfonso Bialetti sein soll) wurde 1953 erschaffen. Schließlich wurde Bialetti zur größten Fabrik für Kaffeemaschinen der Welt. Design und Material der Kannen blieben völlig unverändert. Wie auch in den 70 Jahren danach. Weil kein anderes Design so zeitlos ist, bekam die „Moka Express“ einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde. Erst in den vergangenen Jahren wurden erste, kleine Änderungen am Design vorgenommen.

2006, im Jahr vor dem Börsegang, hat der Konzern, der nach wie vor in dem Dorf nahe des Lago Maggiore sitzt, einen Gewinn von 2,5 Mio. Euro verzeichnet und 900 Menschen beschäftigt. Die Hälfte des Umsatzes wurde im Ausland erwirtschaftet. Bialetti hat sich nicht auf Alukännchen beschränkt, sondern unter anderem den Elektrogeräteproduzenten Girmi oder den Topffabrikanten Cem erworben.


Kapseln gegen Kannen. Es schien, als seien die Kultkännchen eine sichere Bank. Allein in den 13 Jahren vor dem Börsegang 2007 hat sich der Umsatz auf 209 Mio. Euro mehr als vervierfacht. Zum Debüt an der Mailänder Börse schoss die Aktie gleich um 11,2 Prozent auf 2,78 Euro in die Höhe.

Doch dann kam der große Aufstieg des Kaffees aus Kapsel, Pad oder All-inclusive-Automaten. Und selbst in der „Cucina Italiana“ kauft man nun Kapseln und lässt sich einen Kaffee per Knopfdruck brühen. Seither verschlechtert sich die Lage. Für 2009 meldete der Konzern einen Umsatz von 194,2 Mio. Euro – um 7,6 Prozent weniger als 2008. Die Verschuldung betrug 96 Mio. Euro. Der Markt für die traditionelle Kanne von Bialetti soll in den vergangenen zwei Jahren um 26 Prozent geschrumpft sein.

Kapselsysteme sorgen zwar erst für fünf Prozent des Umsatzes mit Kaffeemaschinen in Italien, aber ihr Anteil wächst. Nicht nur in Italien legen diese Systeme kräftig zu. Nespresso ist in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt jährlich um 30 Prozent gewachsen. Jüngst berichtete der Marktführer von einem Umsatzplus von 20 Prozent im ersten Quartal.

Bei Lavazza erwartet man, dass der Anteil in den kommenden zehn Jahren auf 25 bis 30 Prozent wachsen wird. Selbst Bialetti bietet neuerdings Kapselmaschinen an. Auch mit neuen Designs versucht Bialetti, die alte Kanne zu retten: rundere, modernere Varianten der Alukanne. Neue Designs von Kuhflecken bis zu roten Punkten, blauen Herzen oder einer eigenen Fiat-Edition. Auch elektrische Kännchen, nach Wasserkocherprinzip, gibt es mittlerweile. Selbst Stahlkannen sind ins Sortiment eingezogen. Schließlich passen die klassischen Alukannen in viele moderne Küchen nicht mehr: Mit Induktionsherden funktionieren sie nicht. Trotzdem, während zahlreiche Hersteller von Küchenutensilien vor Jahrzehnten von Alu auf Edelstahl umgestiegen sind, die klassische „Moka Express“ ist aus Alu. Schließlich sei das für den Geschmack besonders wichtig, da sich im unteren Behälter Kalzium ablagert, im oberen bleiben Kaffeereste. In Italien ist es daher verpönt, die Mokkakanne zu waschen. Mit der Zeit soll der Kaffee so immer besser werden. Außerdem kann man die Oberfläche mit Schwamm oder Reinigungsmitteln so beschädigen, dass Rückstände in den Kaffee gelangen können.


Ein harter Schlag für die Region. Diese Kaffeekultur wird aber abgelöst. Wenn auch langsam. „Die Delokalisierung ist der Anfang vom Ende und keine Lösung“, meinte ein Gewerkschaftssprecher. Das Aus für das Traditionswerk ist auch ein harter Schlag für die Region Piemont und ihre Hauptstadt Turin. Die Wirtschaftskrise hat dort ohnehin schon eine Schneise gezogen, mehrere Klein- und Mittelbetriebe mussten im vergangenen Jahr schließen. Selbst Fiat soll planen, hunderte Jobs im Turiner Werk zu schließen. Auch ein weiteres Bialetti-Werk, in dem 30 Menschen angestellt waren, wurde bereits im Vorjahr geschlossen. Nun fallen 113 Jobs weg.

Die Schließung sei „unausweichlich“, heißt es bei Bialetti. Forschung, Design und „gehobene Produktionsschritte“ sollen aber im Piemont bleiben. Auch der „Omino coi baffi“, das Wahrzeichen, bleibt auf den Kannen. Er wird sie ohnehin überleben. Schließlich ist selbst der alte Italiener ins neue Kaffeezeitalter aufgebrochen und prangt auf den Kapselautomaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2010)

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