Häupl über Migranten: „Das neue Proletariat“

Michael Häupl mit "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak und Chronik-Ressortleiter  Dietmar Neuwirth
Michael Häupl mit "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak und Chronik-Ressortleiter Dietmar NeuwirthDie Presse
  • Drucken

Wiens Ex-Bürgermeister spricht sich im „Presse"-Interview für Regierungsverhandlungen mit der ÖVP nach der Wahl aus. Einem Rücken der SPÖ nach rechst kann er nichts abgewinnen. Sein Rat: „Nicht einen Millimeter der FPÖ nachgeben.“

Wie zufrieden sind Sie mit der SPÖ im Wahlkampf?

Michael Häupl:
Es läuft immer besser, es kann bis Ende September noch halbwegs etwas werden.

Halbwegs heißt was genau?

Ganz toll würde heißen, dass die SPÖ Erster wird. Haben wir schon erlebt.

Ein paar Mal sogar...

... wo entgegen allen Erwartungen und Meinungsumfragen die SPÖ Erster wurde. Ordentlich Zweiter zu werden ist auch o.k. Schön wäre es, wenn man gegen die SPÖ keine Regierung bilden könnte.

Was macht ein Wiener Altbürgermeister während des Wahlkampfes den ganzen Tag?

Meine Tätigkeiten im wissenschaftlichen Bereich sind ja bekannt. Natürlich versuche ich mitzuhelfen im Wahlkampf, ich werde auch das machen, was schon Franz Vranitzky oder Alfred Gusenbauer gemacht haben (Videobotschaften; Anm.). Ich werde auch im Wiener Gemeinderatswahlkampf helfen, wenn man mich braucht. Aber das Highlanderprinzip ist mir wohl bewusst: Es kann immer nur einen oder eine geben, der Chef oder Chefin ist.

Lobbyieren Sie, wie das kolportiert wird, mit Ihrem langjährigen politischen Freund Erwin Pröll im Hintergrund für eine Neuauflage einer Koalition zwischen ÖVP und SPÖ?

Da unterschätzt man die Intelligenz von uns beiden. Das ist schon im Grenzbereich zur Beleidigung. Wir wissen ganz genau: Koalitionsgespräche führt man niemals vor einer Wahl. Jetzt wahlkämpfen wir, dann entscheidet der Wähler, und dann kann man nachdenken, was man weiter macht. Ich persönlich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn sich für ÖVP und FPÖ eine Mehrheit ausgeht, werden sie eine Koalition bilden.

Halten Sie eine Zusammenarbeit zwischen ÖVP und SPÖ überhaupt für möglich. Man hat den Eindruck, dass alle Tischtücher zerschnitten, alles Porzellan zerschlagen wurde, oder ist das nach der Wahl alles gleichgültig?

Nein, es ist nicht gleichgültig. Nur die Bilder, die Sie skizziert haben, sind es. Selbstverständlich bin ich dafür, dass man nachher redet. Man muss sich das ansehen, das ist eine inhaltliche Frage: Wie groß sind die Schnittmengen, man muss sich ja nachher rechtfertigen. Dasselbe Theater, das wir schon einmal hatten, brauchen wir nicht mehr.

Michael Häupl mit "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak und Chronik-Ressortleiter  Dietmar Neuwirth
Michael Häupl mit "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak und Chronik-Ressortleiter Dietmar NeuwirthClemens Fabry Die Presse

Welches Theater meinen Sie?

Das gegenseitige, vor allem von der ÖVP betriebene Blockieren der Regierungsarbeit. Das wird von der Bevölkerung mit Sicherheit nicht goutiert. Das wesentliche Atout von Türkis-Blau war, dass sie über einen gewissen Zeitraum den Eindruck aufrechterhalten konnten, nicht zu streiten.

Der Eindruck wurde aber nur nach außen vermittelt, intern gab es immer wieder Auseinandersetzungen.

Natürlich muss es in einer Demokratie inhaltliche Auseinandersetzungen geben, nicht nur Bussi-Bussi, das ist ja Blödsinn. Die wichtige Frage ist: Wie löse ich Konflikte auf, wenn man in einer Regierung sitzt.

Sind nicht die Schnittmengen in vielen Fragen zwischen ÖVP und FPÖ größer als mit der SPÖ?

Das glaube ich nicht. Das mag in der Frage der Migration stimmen, aber in anderen Fragen wie Sozialpolitik oder Bildung nicht. Ich kann nur sagen: Ja, ich bin dafür, dass man nach den Wahlen inhaltliche Gespräche mit der ÖVP zur Bildung einer Regierung führt. Die SPÖ muss sich schon auch die Frage stellen: Wenn man nicht will, dass die FPÖ in der Regierung ist, kann man nicht von vornherein ausscheiden.

Halten Sie auch eine Dreierkoalition für möglich?

Aber freilich, ist furchtbar schwierig, aber denkmöglich.

Manche konstatieren, dass die europäische Sozialdemokratie bei der Umverteilung erfolgreich war, nur müsste das auch bei Menschen mit Migrationshintergrund stärker ankommen. Für viele ehemalige SPÖ-Wähler stellt das ein schwieriges Thema dar.

Wenn ich heute eine Versammlung der SPÖ in Wien besuche und dort wird davon gesprochen, dass wir die Partei des Proletariats sind, dann muss man ganz klar sagen: Das heutige Proletariat sind zu 80 Prozent Leute mit Migrationshintergrund. In meinem Heimatbezirk Ottakring kann man sich das anschauen, das betrifft im Übrigen, und das vergisst die ÖVP völlig, auch Kleinunternehmer. Den Brunnenmarkt beispielsweise würde es ohne Menschen mit Migrationshintergrund gar nicht mehr geben. Da sage ich: Freunde, entweder wir hören auf, alte, falsche Bilder zu zeichnen. Oder wir sagen: Migration ist für Wien nichts Neues, gerade wenn man sich das 19., das 20. Jahrhundert ansieht. Wenn wir sagen: Diese Menschen sind das neue Proletariat, das sind unsere Leute, wir kümmern uns jetzt um sie. Dann wird das für viele vollkommen klar und richtig sein.

Michael Häupl
Michael Häupl Clemens Fabry / Die Presse

Hat man sich zu wenig gekümmert? Sind Integrationsbemühungen zu langsam erfolgt, war die Entwicklung zu rasch?

Nein, würde ich so gar nicht sagen. Ich lade Sie gerne ein, gehen wir einmal auf den Brunnenmarkt...

oder in eine Schule...

ja, können wir gerne machen bei mir in Ottakring, da haben sich Verhältnisse erheblich verändert. Natürlich haben da zwei Drittel der Kinder Migrationshintergrund. Aber das ist doch wurscht. Die Frage ist, ob sie Deutsch können. Da hat sich vieles geändert.

Ottakring ist Vorbild, weil es am besten funktioniert. Im 10. Bezirk schaut die Welt anders aus.

Ottakring ist mein Heimatbezirk, da bin ich hautnah dran, in Favoriten nicht so wie vor meiner Haustüre. Ich verhehle auch nicht, dass wir noch einen Weg vor uns haben. Aber wir versuchen, dasselbe was wir am Yppenplatz gemacht haben seit drei Jahren auch auf dem Viktor Adler-Markt mit allen Gutwilligen, abseits von ideologischen Strömungen. Wir arbeiten zusammen, weil wir wollen, dass die Menschen friedlich auf selber Augenhöhe respektvoll zusammenleben.

Der Wahlerfolg der FPÖ zeigt aber, dass man positive Maßnahmen entweder schlecht kommuniziert hat, es in der Integrationspolitik Versäumnisse gibt oder dass ein Teil der Bevölkerung mit dieser Veränderung Probleme hat.

Ja und nein. Ja, wo wir das ordentlich und offensiv argumentiert haben, hat es funktioniert, im 11. Bezirk leider nicht (erster FPÖ-Bezirksvorsteher, Anm.). Klar ist aber die generelle Devise: Keinen Zentimeter, nicht einmal einen Millimeter der Argumentation der FPÖ nachgeben, weder am Wirtshaustisch noch bei Festeln noch sonstwo.

Wie kompatibel ist das mit der Idee, die SPÖ müsse ein wenig nach rechts rücken, um die FPÖ zu schlagen?

Damit kann ich gar nichts anfangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Nationalratswahl 2019

Koalition mit der ÖVP für Rendi-Wagner vorstellbar

Die SPÖ-Chefin will eine Fortsetzung von Türkis-Blau verhindern. Sie "schließe nur die FPÖ als Partner aus".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.