Alpengemäuer

Südtirol: Alte Bunker, neues Leben

Lage. Überall
Lage. Überall (c) IDM Südtirol/Helmuth RierSüdtirol
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350 Bunker bildeten in Südtirol den Allpenwall. Heute sind sie Gegenstand der Bunkerologie und der Vermittlung der Geschichte. Viele werden neu genutzt. Für Wein, Kunst, Käse.

Dass die Bunker in Südtirol keinem Angriff standhalten mussten, war ein historisches Glück. Mussolini hatte den „Vallo Alpino del Littorio" (VAL), den Alpenwall, errichten lassen, weil er den Zusagen Hitlers letztlich nicht traute: Über einen Zeitraum von wenigen Jahren entstanden bis 1942 in Südtirol an die 350 Verteidigungsanlagen zum Schutz gegen einen Einmarsch der Deutschen, dem „Stahlpakt" zum Trotz. Sie waren Teil eines 1850 Kilometer langen Abwehrgürtels von Ventimiglia bis Fiume (Rijeka).

Bollwerk. Am Gampen wurden sehr lange Stollen in den Berg getrieben.
Bollwerk. Am Gampen wurden sehr lange Stollen in den Berg getrieben.(c) Beigestellt

20 Objekte unter Denkmalschutz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die martialischen Anlagen aus der Zeit des Faschismus zwecks Verteidigung gegen eine Gefahr aus dem Osten zu Verteidigungsanlagen der Nato. Doch auch der Kalte Krieg sollte die Existenz der Bunker nicht durch Angriffe rechtfertigen. Spätestens nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs wurden die Bunker wirklich obsolet, sie gingen vom Militär an das Land Südtirol über. Und das Land wiederum versteigerte sie später, Private und Institutionen, Unternehmen und Kunstschaffende griffen zu. Manches Bunkerobjekt war nicht mehr (auch mangels Wertschätzung der militärhistorischen Zeugnisse) zu retten und wurde geschleift. 20  Objekte verblieben beim Land und wurden unter Denkmalschutz gestellt. Darunter auch der Schaubunker unweit der Festung Franzensfeste, eines von Ferdinand  I. initiierten Bollwerks aus den 1830er-Jahren, das ebenfalls keinem Ansturm entgegenhalten musste.

Strategische Plätze. Unzählige Tonnen Beton wurden in der Landschaft verbaut, an Schmalstellen und Talengen, an strategischen Punkten wie dem Reschenpass und dem Gampenjoch, im Pustertal und im Etschtal sowie im Süden von Bozen. Der Materialaufwand war enorm, er wird sogar mit jenem der Brennerautobahn verglichen. Bemerkenswert aus heutiger Sicht ist, dass dieses riesige Bauvorhaben nicht selten von der Bevölkerung kaum bis wenig wahrgenommen wurde. Das hatte vermutlich auch damit zu tun, dass die Beteiligten aus dem Rest Italiens kamen, weil die Faschisten den deutschsprachigen Südtirolern nicht so recht über den Weg trauten.

Mikroklima. Im Bunker von Degust lagern mehr als 200 Käsesorten.
Mikroklima. Im Bunker von Degust lagern mehr als 200 Käsesorten.(c) Beigestellt

Die teils sichtbar in den Hang gebauten, teils schwer zugänglichen Anlagen wurden zu „Lost Places", zu geheimnisvollen Orten, verwunschenen Stätten. Verbunden mit Mutproben der Ortsjugend, die es wagte, in diese verwachsenen Betonhöhlen einzusteigen und mit Fackeln oder Taschenlampen die dunklen, feuchten Gänge, Kavernen und Schießscharten zu erkunden. Alles andere als ungefährlich, weil sich vor allem in den größeren Anlagen ungesicherte Schächte befanden.

Bedeutung haben die Bunker als Zeitzeugen einer von radikalen Ideen und Ängsten kontaminierten Weltsicht. Auch später zeugen sie von der Unberechenbarkeit politischer Entwicklung. Ihre Intention mag fragwürdig gewesen sein, doch sie sind auch ein wichtiges Kulturgut. Speziell dann, wenn sie öffentlich genutzt werden, als Museum, als Erinnerungsort, wie es etwa beispielsweise beim „Mooseum" in Passeier, in Spinges, in Mals oder eben am Scheitelpunkt des Gampenjochs der Fall ist. Letzterer ist eine riesenhafte Verteidigungsanlage, für die 1940 ein sehr langes System an Stollen (1,5 Kilometer in Summe) in den Berg getrieben wurde. 2010 hatte man das Objekt hinter den zugewucherten Schießscharten und Geschützplattformen wieder zugänglich und aus dem militärischen Gampen Bunker die „Gampen Gallery" gemacht. Darin ist zudem eine außergewöhnliche und sehr umfangreiche Gesteinssammlung zu sehen.

Ausstellung. Die „Gampen Gallery“ beherbergt eine Gesteinssammlung.
Ausstellung. Die „Gampen Gallery“ beherbergt eine Gesteinssammlung.(c) Beigestellt

Wein, Käse, Kunst. Heute befinden sich viele Bunker in Händen privater Eigentümer. Ein struktureller Zusammenhang zwischen den einzelnen Bunkern ist für den Laien kaum mehr offensichtlich, wiewohl die Erforschung der Bunker in Südtirol noch recht jung ist. Für ihre Erfassung haben Alessandro Bernasconi und Gianni Muran Basisarbeit geleistet, vor allem Heimo Prünster beschäftigt sich mit der Anlayse der einzelnen Objekte und der Aufarbeitung des VAL – der Architekt betreibt eine Art „Institut für Bunkerologie".

Viele Bunker wurden in den 2000ern einer neuen friedlichen Nutzung unterzogen. Der bekannte Käseaffineur Hansi Baumgartner nutzt eine kleinere Bunkeranlage bei Mühlbach im Pustertal, um Käselaibe reifen zu lassen. Die Klimabedingungen hinter den dicken, rohen Betonwänden sind ideal für die Spezialitäten von „Degust". Fritz Dellago wiederum nutzt die ewig langen Gänge des Bunkers gleich neben seinem Schloss Korb in Missian (Eppan) für die Inszenierung von Wein. In kleinen Ausbuchtungen stehen eiförmige Betonfässer, umgeben von einer unwirklichen Aura. Dass die Bedingungen dieser dickwandigen, unbeheizten, lichtlosen Bauten für Wein geeignet sind, machten sich in Südtirol auch weitere Winzer zunutze und funktionierten die Stollen in Fasskeller um. Anderen implementieren auch einen Verkostungsraum darin, wie etwa der „Genussbunker" von Hubert Stockner, Käsemeister, Käse- und Biersommelier, in St. Lorenzen.

Kostraum. Im „Genussbunker“ in St. Lorenzen wird Käse ­gekostet.
Kostraum. Im „Genussbunker“ in St. Lorenzen wird Käse ­gekostet.(c) Beigestellt

Wohnwagen im Bunkerfels. Die kreative Nutzung dieser brutalen Nutzbauten ist ebenfalls ein Thema: Bunker 23 in Tartsch im Vinschgau wurde von dem Südtiroler Künstler Benny von Spinn in Zusammenarbeit mit Othmar Prenner in einen besonders freundlichen Ort verwandelt. Dem wie ein Berg aufragenden Bunker wurde ein origineller Zaun aufgesetzt und dahinter eine Art Gastgarten installiert, mit einer Theke, um die sich ausrangierte Einsersesselliftsitze drehen. Von Spinn nutzt das Objekt auch als seine Homebase, der Wohnwagen, der halb aus der Betonwand herausragt, fungiert als Schlafzimmer. Umbau am Bunker ist immer Work in Progress. Nicht nur für von Spinn, sondern auch für andere Bunker-­Besitzer. Bei so vielen Kubikmetern ist das kein ­Wunder.

Infos

Bunker für Käse: Hansi Baumgartners „Degust" bei Mühlbach im Pustertal, www.degust.com
Käse und Bier: In Hubert Stockners Genussbunker in St. Lorenzen, genussbunker.it

Wein: Bei Schloss Korb in Missian (Eppan), schloss-hotel-korb.com

Weitere Wein-/Genussbunker: Praeclarus in Eppan, Lanz in Natz-Schabs

Museum: Gampen Bunker am Gampenjoch: gampen-bunker.merano-suedtirol.it, Bunkermuseum in Toblach, Mooseum im Passeiertal, Bunker in Franzensfeste, in Mals, sowie in Reschen

Kunst: Bunker 23 in Tartsch, auf Facebook.

Buchtipp: „Das indiskrete Auge" von Alessandro Bernasconi und Heimo Prünster im Verlag Curcu & Genovese.

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