König Felipe sah für keine Regierung eine Mehrheit im Parlament und kündigte Wahlen am 10. November an. Doch der Stillstand dürfte Teil der spanischen Realität bleiben.
Madrid. Bis zuletzt hatten die Spanier darauf gehofft, dass sich ihre heillos zerstrittenen Parteien doch noch auf eine neue Regierung einigen würden. Doch sie wurden enttäuscht: König Felipe VI. kündigte an, dass die Regierungsbildung endgültig gescheitert sei. Es gebe keinen Kandidaten, der im Parlament auf die notwendige Unterstützung zählen kann, erklärte er. Deswegen werde er Anfang kommender Woche, wie in der Verfassung vorgesehen, das Parlament auflösen und eine Neuwahl ansetzen, die am 10. November stattfinden wird.
Damit steuert Spanien rund fünf Monate nach der letzten Neuwahl schon wieder auf eine Wahlwiederholung zu. Es ist der vierte Wahlgang in vier Jahren. In einer Krisenrunde mit den Parteichefs hatte der König zuvor versucht, sie zu Kompromissen zu bewegen – vergeblich. „Ein absolutes Fiasko“, urteilte die Zeitung „El País“.
In einer TV-Ansprache appellierte Ministerpräsident Pedro Sánchez an die Nation, bei der Neuwahl diesmal für klare Verhältnisse zu sorgen. „Ich bitte die Spanier um eine deutlichere Mehrheit im November.“ Seine Sozialisten hatten bei der letzten Parlamentswahl Ende April mit 29 Prozent die Nase vorn. Das war aber keine ausreichende Mehrheit, um eine Regierung bilden zu können. Alle Gespräche mit anderen Parteien, eine sozialistische Minderheitsregierung zu tolerieren, waren seitdem im Sande verlaufen.
Revanche der Konservativen
Auch eine Koalition mit der linken Partei Unidas Podemos kam wegen des Streits über die Verteilung der Ministerposten nicht zustande. Der Graben zwischen Sánchez und Podemos-Chef Pablo Iglesias ist eher noch tiefer geworden. Spaniens konservative Parteien lehnten es derweil ab, wenigstens durch Stimmenenthaltung den Sozialisten an die Macht zu verhelfen. Sie nehmen es Sánchez immer noch übel, dass er im Sommer 2018 mit einem Misstrauensvotum gegen den damaligen konservativen Regierungschef, Mariano Rajoy, an die Macht gekommen ist. Anschließend regierten die Sozialisten mit einem Minderheitskabinett, das Anfang 2019 am Konflikt um den Haushalt scheiterte.
Umfragen zufolge liegen die Sozialisten derzeit im Aufwind. Soziale Reformen wie etwa die Anfang 2019 beschlossene Erhöhung des Mindestlohns und ein dialogfreundlicher Kurs mit der Konfliktregion Katalonien scheinen sich auszuzahlen. Laut „El País“ kann Sánchez bei Neuwahlen derzeit immerhin mit einem leichten Stimmenzuwachs rechnen – einem Sprung auf 32 Prozent.
Dies reicht aber längst zu einer Mehrheit im Parlament in Madrid. Sánchez brauchte dann immer noch – wie bisher – die Unterstützung von Podemos und wohl auch von wenigstens einer der kleinen Regionalparteien aus dem Baskenland oder aus Katalonien. Umfragen bescheinigen dem konservativen Block aus Volkspartei, der bürgerlich-liberalen Bewegung Ciudadanos und der rechtspopulistischen Vox Einbußen. Doch sie sind nicht groß genug, um der Linken zur Mehrheit zu verhelfen.
Es deutet also nichts darauf hin, dass die Neuwahl im November Spaniens politischen Stillstand beenden wird. Der neuerliche Wahlgang könnte Spaniens politische Blockade somit weiter bis zum Jahr 2020 verlängern. Dieses Szenario weckt zunehmend Sorgen, dass Spanien derzeit unregierbar ist: „Es ist unverantwortlich, dass wir wieder Neuwahlen bekommen“, sagte Iñaki Gabilondo, einer der prominentesten Kommentatoren des Landes. Das werde die politische Instabilität Spaniens nur noch weiter erhöhen.
Investitionen liegen auf Eis
Zu den größten Problemen der viertgrößten Wirtschaftsmacht des Euroraums gehört derzeit, dass es keinen aktuellen Staatshaushalt gibt. Mangels politischer Mehrheit im Parlament muss Sánchez immer noch mit dem Spar-Etat seines konservativen Vorgängers Mariano Rajoy regieren – und dieser Haushalt stammt aus dem Jahr 2018. Was zur Folge hat, dass viele staatliche Investitionen und Regierungsprojekte mangels Finanzierung momentan auf Eis liegen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2019)