Ökonomenranking: Die Erklärer in der öffentlichen Debatte

In den Top drei des diesjährigen Ökonomenrankings: Der an der Uni Zürich forschende Ernst Fehr (M.).
In den Top drei des diesjährigen Ökonomenrankings: Der an der Uni Zürich forschende Ernst Fehr (M.).(c) Mirjam Reither
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Spitzenökonomen sind nicht nur in der wissenschaftlichen Forschung tätig. Sie sind es auch, die im wirtschaftspolitischen Diskurs die Inhalte liefern. In Wahlkampfzeiten ist ihr sachlicher Beitrag zur öffentlichen Debatte besonders wichtig.

Wien. „Wahlkampf ist eine Zeit fokussierter Unintelligenz.“ Dieses Zitat des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl mag vielleicht zugespitzt sein, aber im Kern ist es durchaus richtig. So neigt die Politik gern zu populistischen Entscheidungen, wenn es darum geht, um Wählerstimmen zu rittern. Umso so wichtiger sind in solchen Phasen Ökonomen, die mittels unaufgeregter Sachlichkeit die Dinge wieder geraderücken.

Aber auch abseits von Wahlkämpfen sind es die Volkswirte der verschiedenen Universitäten und Institute, die als Erklärer fungieren, wenn sich die öffentliche Debatte um komplexe Themen wie Steuersystem, Geldpolitik oder Konjunkturankurbelung dreht. Und so verwundert es nicht, dass sich auf den Spitzenplätzen des Ökonomenrankings, das heuer zum sechsten Mal von der „Presse“ zusammen mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ erstellt wurde, vor allem jene Ökonomen finden, die auch sonst medial im Blickpunkt stehen.

Mit einer großen Ausnahme: So konnte sich zum vierten Mal in Folge der aus Vorarlberg stammende und in Zürich forschende Verhaltensökonom Ernst Fehr durchsetzen und an die Spitze des Rankings setzen. Fehr verteidigte seinen Sieg erneut durch seine ungeheuer große Anzahl an wissenschaftlichen Zitaten, während er bei den beiden weiteren Kategorien – der medialen Aufmerksamkeit und des direkten politischen Einflusses – eher im Mittelfeld zu finden ist.

Politische Verhaltensökonomie

Das bedeutet aber nicht, dass Fehrs Arbeit unpolitisch ist. So war der seit Jahren als potenzieller Kandidat für den Wirtschaftsnobelpreis Genannte in der Vergangenheit auch beratend für das heimische Wirtschaftsministerium tätig. Der Grund dafür heißt Nudging. Also das Konzept, wonach die Politik mittels verhaltensökonomischer Methoden versucht, die Bürger zu einem gewünschten Verhalten zu bringen. Als Beispiel dafür gelten etwa Briefe, die in Großbritannien an säumige Steuerzahler versandt werden, sobald 95 Prozent der Bürger in der Nachbarschaft bereits ihre Steuererklärung abgegeben haben. Dadurch wurde die Pünktlichkeit der Steuerzahlungen mit wesentlich gelinderen Maßnahmen als Säumnisstrafen deutlich erhöht.

Nach Fehr an zweiter Stelle findet sich im diesjährigen Ökonomenranking IHS-Chef Martin Kocher. Er ist inzwischen zum am häufigsten in den österreichischen Medien zitierten Ökonomen geworden. Kein Wunder, so erklärte er gegenüber der „Presse“ kurz nach seinem Antritt im Chefsessel des IHS, dass er sich vor allem bei jenen Themen zu Wort melden möchte, bei denen er „Diskussionen auslösen“ kann. Und solche gab es auch in jüngster Vergangenheit genug, wie beispielsweise die verschärfte Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die von Kocher durchaus kritisch gesehen wird. Aber auch anlässlich der geplanten Steuerreform der inzwischen zerbrochenen türkis-blauen Regierung meldete er sich im Frühjahr mit Vorschlägen zu Wort.

Wenn es um das Thema Steuern geht, dann kommt in Österreich aber kaum jemand an der Drittgereihten im Ranking vorbei. Wifo-Vizechefin Margit Schratzenstaller gilt als die Koryphäe, wenn es hierzulande um das Thema Steuersystem geht. Und obwohl es sich hierbei um ein politisches Minenfeld handelt, da gerade Steuerpolitik auch sehr stark ideologisch geprägt ist, schafft es Schratzenstaller in der Regel sehr gut, die Vor- und Nachteile einzelner Maßnahmen möglichst pragmatisch abzuhandeln.

Mit Blech muss sich heuer Christoph Badelt im Ökonomenranking begnügen. Der Wifo-Chef hat mit seinem IHS-Pendant Kocher gegenüber dem Vorjahr die Plätze getauscht, war aber dennoch auch im vergangenen Jahr eine der gewichtigsten Stimmen im heimischen wirtschaftspolitischen Diskurs. Zudem kann er sich freuen, dass sein Institut in Summe den stärksten Fußabdruck hinterlassen hat.

Ein Oberösterreicher in Kiel steigt auf

Der steilste Aufstieg gelang diesmal Gabriel Felbermayr. Der Oberösterreicher wechselte im März vom Münchner ifo Institut an das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, wo er die Leitung übernahm. Das sorgte naturgemäß auch hierzulande für erhöhte mediale Aufmerksamkeit, was seiner Stimme in der wirtschaftspolitischen Diskussion mehr Gewicht verlieh. Ebenfalls stark verbessert hat sich Monika Köppl-Turyna von der Agenda Austria, die vom 18. auf den elften Rang vorstieß. Einen hohen Neueinstieg vollbrachte wiederum Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. Der Autoexperte profitierte nicht zuletzt von den jüngsten Problemen der Branche, was den Wunsch nach ökonomischen Erklärungen befeuerte. Aus dem Ranking gefallen ist indes Gottfried Haber. Grund dafür ist die Übernahme einer offiziellen Funktion in der Nationalbank.

Die Methode

Medien. Unicepta hat gezählt, wie häufig welche Ökonomen von Juli 2018 bis Juni 2019 in den Medien genannt wurden. Die Daten stammen aus der Datenbank Factiva, erstmals wurden die Online-Auftritte der Medien einbezogen – unabhängig davon, ob die Beiträge für alle Leser zugänglich waren oder nur für Abonnenten.

Politik. „Welche sind die Ökonomen, deren Rat oder Publikationen Sie am meisten für Ihre Arbeit schätzen?“ Diese Frage stellten die Universität Düsseldorf, der Verein für wissenschaftliche Politikberatung Econwatch und die Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften in einer Umfrage Hunderten Politikern und Beamten.

Soziale Medien. Die Website Makronom nahm eine Sonderauswertung ihres regelmäßigen Twitter-Rankings vor. Um berücksichtigt zu werden, musste ein Ökonom an einem deutschen, österreichischen oder Schweizer Institut arbeiteten und durchschnittlich mindestens fünf eigene Tweets im Quartal veröffentlicht haben.

Wissenschaft. Hier zählt die Zahl der Zitate aus den vergangenen Jahren. Den Index hat der Fachverlag Elsevier aus seiner Datenbank Scopus berechnet. Für dieses Ranking wurden Zitate berücksichtigt, die von 2015 bis 2019 veröffentlicht wurden.

Gesamt. In der Forschung waren mindestens fünf Zitate nötig, in der Öffentlichkeit mindestens fünf Medienzitate oder fünf Punkte in der Politikumfrage oder fünf Punkte bei Social Media. In jeder Säule bekam der stärkste Ökonom die volle Punktzahl, alle anderen bekamen ihre Punkte proportional dazu. In der Zusammenrechnung brachte die Wissenschaft bis zu 500 Punkte, Medien 250 Punkte, Politik 200 und Social Media 50.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2019)

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