Naumburger Dom
Sachsen-Anhalt

Welterbe Naumburger Dom

Die großartige Straße der Romanik führt zu der Stadt, aber auch so,einfach über Land, gibt es schöne Wege der Annäherung und erstaunlich viel zu erleben in und um Naumburg an der Saale.

„Am Ende wurde alles gut.“ 20 Jahre hatte man daran gearbeitet, dafür gekämpft, dreimal einen Antrag gestellt. Holger Kunde kann ein Lied davon singen. Er war ganz vorn mit dabei bis zuletzt bei der Unesco-Sitzung in Bahrein im Juli 2018 – der Naumburger Dom wurde Weltkulturerbe, eines der jüngsten Deutschlands. Direktor der Vereinigten Domstifter ist er, der Hüter des Doms, und er zeigt seine Schätze.

Man hofft auf neue Gäste in Naumburg, in Sachsen-Anhalt. Das Bundesland ist in Sachen Welterbe ja ein Schwergewicht. Gleich mehrere Bauhaus-Ensembles in Dessau zählen dazu, Luther-Gedenkstätten, das Gartenreich Wörlitz, Quedlinburg, größte deutsche Fachwerkstadt. Zudem liegt Naumburg auf dem Europäischen Kulturweg der Transromanica. Viele Wege führen hierher. Wer in diesem Bauhaus-Jubiläumsjahr Architektur besucht und Richtung Dessau weiter über Land fährt, wird von Jena kommend bald eine besonders schöne Seite Naumburgs erblicken – auf einem Hügel, um den die Saale einen Bogen macht, den viertürmigen Dom St. Peter und Paul. Sachsen-Anhalt ist gut bestückt mit Hochkarätigem von der Romanik an, der Dom seit bald achthundert Jahren das Zuhause der Uta von Naumburg, einer der berühmtesten Skulpturen: Uta von Ballenstedt im richtigen Leben, Fürstentochter aus dem nahen Harz, Weltstar dank Welterbe.

Naumburger Dom
Naumburger Dom(c) imago images / Karina Hessland (via www.imago-images.de)



Uta befeuerte Fantasien, Umberto Eco, der Mann der Zeichen, sah eines in ihr. Auf die selbst gestellte Frage, mit welcher Frau in der Geschichte der Kunst er gern zu Abend essen ginge, fantasiert er in seiner „Geschichte der Schönheit“: Uta von Naumburg. Hatte er sie hier je besucht? Oder kannte er sie wie Millionen andere nur von Fotos wie dem des Naumburger Starfotografen Walter Hege – ausgeleuchtet wie ein Ufa-Star? So viele heißen ja Uta seit damals, als schönste Frau des Mittelalters galt sie. Die Kultfigur gotischer Skulptur musste in der NS-Zeit als Idealbild der deutschen Frau herhalten, englischsprachige Kinderzimmer betrat sie in Disneys Schneewittchen auch noch als Vorbild für die böse Königin. Also, bei Uta weiß man nicht so genau.

Umringt vom Fegefeuer

Hier steht sie nun im Laufgang des Westchors, als Teil von zwölf Figuren aus Muschelkalk, lebensgroß, natürlich. Acht Männer und vier Frauen von hohem Adel, zwischen Himmel, Hölle und Erde – im Fegefeuer. Vier Meter über uns. Der höfischen Uta, die ihren Mantel hochgeschlossen hält, erlagen viele. Noch in jüngerer Zeit las man von schmachtendem Verehren der Steinernen. Gemahl Markgraf Ekkehard II., ein Recke mit Gardemaß und Doppelkinn, steht neben ihr. Und Uta? Ja, wohin schaut sie eigentlich? Versunken blickt gegenüber Hermann von Meißen ins Nirgendwo, derweil seine Angetraute, Reglindis, entspannt im Fegefeuer steht. Sie hat gut lächeln, ihr ist Seligkeit gewiss. Wie den anderen Figuren auch, „der Baldachin über ihnen verrät es, er steht für das himmlische Jerusalem“, erläutert Stiftskustos Holger Kunde. Die zwölf Figuren sind Erststifter, sie erst ermöglichten den Bau der Kirche. Dafür stehen sie an der Stelle, die sonst Heiligen vorbehalten ist, und soll(t)en zu weiteren Spenden animieren – gegen Sündenerlass.

Erst Gotik, dann DDR-Relikte

Name und Herkunft des Bildhauers und Baumeisters sind unbekannt. Franzose war er, hat in Kathedralen wie Reims und Mainz Spuren hinterlassen und heißt nach seinem Hauptwerk „Naumburger Meister“. Mit seiner Werkstatt schuf er auch den Westchor: Auf dem Lettner befindet sich ein fast vollplastisches Relief mit der Passionsgeschichte. Eichenlaub, Weinbeeren und Haselnüsse ließ er an den Kapitellen sprießen, so zierlich, dass man sie berühren möchte. Vor allem die Plastik des Meisters und sein Kulturtransfer von West nach Ost machten den Dom letztlich zum Welterbe.

Von Uta sind es nur Minuten zu Fuß den schmucken Steinweg entlang zum Lindenring. Ein schön melancholischer Boulevard ist das, an dem noch einige mit Narben der Not versehene Bauten aus DDR-Zeiten auf Zuwendung warten. Nun gut, Naumburg ist auch nicht vom Himmel gefallen. Es waren zwei Naumburgs: das kleinteilige, die einstige Domfreiheit Immunitas mit Kurienbauten und Handwerkerhäusern um den Dom. Und die bürgerliche Messestadt der Händler und Fernhändler an der Via Regia, Naumburg Civitas, um die Kirche St. Wenzel.

Bis heute hat sich der Stadtgrundriss mit zwei Altstädten erhalten, wohl einmalig in deutschen Landen. Lang trennte ein tiefer Graben zwischen den Mauern beide Naumburgs, einen Übergang gab es hier auf dem Steinweg, so etwas wie ein Checkpoint. Heute erreicht man dort über den Lindenring die Fußgängerzone Herrenstraße, zwei Ecken weiter öffnet sie sich zu einem prächtigen Marktplatz. Da steht die zweite große Kirche, St. Wenzel. Ist das Timing gut, erfüllt „Orgel punkt zwölf“ die spätgotische Hallenkirche. Dann erklingt diese grandiose Orgel aus dem 17. Jahrhundert. Zu den bedeutendsten weltweit zählt das Instrument, benannt nach Hildebrandt, einem Schüler Silbermanns. Johann Sebastian Bach konnte hier seine ideale Orgel umsetzen, eine Chance, die er nur einmal in seinem Leben hatte. Der monumentale Altar aus dem Jahr 1680 ist einer der größten der Region, der Bestand an Gemälden Lucas Cranachs beträchtlich.

Draußen zeigt sich der große Marktplatz mit den umgebenden Bauten in aller Schönheit. Dies ist das Land der Thüringer Bratwurst, nach der es würzig duftet. Auch Brot, Blumen und Gemüse locken Käufer, junge Frauen mit Frisuren in Pink shoppen im Fashion-„Super-Preis“-Segment. Aber es sind diese übergroßen Zwerchgiebel, halb Renaissance, halb Gotik, die hier am prominentesten in Szene gesetzt und sonst selten sind. Die hohen Dächer, die dem ohnehin großen Ganzen eine fast großstädtische Wucht geben – die des reichen Naumburg um 1500, damals blühende Handelsmetropole vom Kaliber Leipzigs.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg schob die Stadt bis ins 20. Jahrhundert eine ziemlich ruhige Kugel und hat ihre reiche bürgerliche Architektur mit Hausmarken und Renaissance-Portalen bis heute erhalten. In Sachen helle Köpfe aber war viel los. Auch Friedrich Nietzsche ging hier zur Schule, später wechselte er zur Eliteschmiede Pforta. Seit 470 Jahren betreibt man in der Schule Begabtenförderung wie für Klopstock, Ranke, Fichte. 1864 machte Nietzsche dort die Matura. Das Nietzsche-Haus, das erste neue Museum nach der Wende, erinnert an seine Naumburger Zeit, nebenan lädt das Dokumentationszentrum zur Werkauseinandersetzung ein.

Kleinste Tram Deutschlands

Naumburg hat noch mehr Trümpfe: die kleinste städtische Bühne mit einem Vier-Mann-Ensemble, das schon einmal in der Naumburger Straßenbahn auftritt, oder die kleinste Straßenbahn Deutschlands, die täglich fährt. Mit bis zu 30 km/h zuckelt sie vom Hauptbahnhof drei Kilometer unter Bäumen entlang, umrundet die Altstadt längs der Wallanlagen gut zur Hälfte und wieder zurück. Man will sie zur Ringbahn ausbauen, die sie einst war. Wie aus dem Ei gepellt sieht sie aus, mit ihr zeigen die Naumburger, wie einladend, wie gastfreundlich ihre Stadt sein kann. Jedem Fahrgast widmet sich der Fahrer, gibt Tipps zu Essen, Trinken, Sights.

Großes ist in der Landschaft zu entdecken. Der Merseburger Dom, Fundort der „Merseburger Zaubersprüche“ und Schatztruhe der Romanik, sind eine halbe Autostunde entfernt und Richtung Dessau. Die andere ist auch spannend – zunächst geht's an den Weinbergen im Tal der Unstrut entlang. Über Nebra, wo die „Himmelsscheibe“ in der „Arche Nebra“ erlebbar wird, erreicht man auf der „Straße der Romanik“ bald Quedlinburg. Die romanische Stiftskirche und eine Altstadt mit 2000 Fachwerkhäusern an kopfsteingepflastertern Gassen und Plätzen sind Unesco-Weltkulturerbe. Ballenstedt etwa liegt auch auf dem Weg: Die kleine Residenzstadt entlang einer endlosen Allee, mit barockem Schloss samt Theater und Park, eine Schöpfung Peter Joseph Lennés, gilt als Wiege Anhalts und der Uta von Naumburg. Hier steht sie als Büste im Kreuzgang. Von Unikat keine Spur, man konnte sie in Berlin einfach so kaufen. Uta beflügelte stets die Fantasien. Auch die des Naumburger Meisters, als er sie schuf, war sie 200 Jahre schon nicht mehr von dieser Welt.

ROMANISCH BIS MODERN

Naumburger Dom: Domschatzgewölbe, Glasbilder von Neo Rauch, Altarflügel v. Lucas Cranach, ältestes steinernes Bild- nis der heiligen Elisabeth und „Garten des Naumburger Meisters“, in dem in natura wächst, was im Dom als Muschelkalknatur sprießt. 7,50 € Eintritt.

www.naumburger-dom.de, www.visituta.de Nietzsche-Haus: www.mv-naumburg.de/nietzschehaus

Essen/Wohnen: Gasthof Zufriedenheit, www.gasthof-zufriedenheit.de

Hotel Zur Alten Schmiede, www.ck-domstadt-hotels.de

Hotel Zum Alten Krug, www.de-de. facebook.com/pages/Zum-alten-KrugHotel

Unstruttal, im Weinbaugebiet Saale-Unstrut, www.unstruttal.info

Romantik-Hotel am Brühl in Quedlinburg, www.hotelambruehl.de

Infos: www.naumburg.dewww.saale-unstrut-tourismus.de

NAUMBURGER TRAM

Einmal Hauptbahnhof–Salztor hin und zurück – mit der kleinsten Straßenbahn zum Welterbe rattern. Die Tür schließt – wumms – elektrisch, dann brummt das restaurierte Schmuckstück, Typ Lowa anno 1955, los, Holzbänke, Haltestangen und Röhrenbeleuchtung, technisch aber up to date. Dann bimmelt die Klingel, blinkt es orange . . . alles auf zwei starren Achsen. Die Gleise sind in Kurven auf der Außenseite länger, so quietscht, ächzt und surrt sie: „Thea- terplatz“, sagt der Fahrer, Leute steigen aus und zu. Eine tolle Fahrt. Klingeln, es geht wieder los. Ab Salztor retour. Diese Tram werden Besucher mögen. Ab Haltestelle Poststraße sind es zehn schöne
Fußminuten zum Dom und zu Uta (im
Bild Figur rechts). Dabei nimmt man im Sommer Lindenblütenduft auf dem Lindenring mit, biegt rechts in den Steinweg ein, und da steht er: der viertürmige Dom St. Peter und Paul mit Reglindis, Uta, Ekkehard, Hermann, Syzzo, Thimo, und wie sie alle heißen, im Fegefeuer. Die Früchte ihrer Stiftungen erntet die ganze Stadt als Unesco-Weltkulturerbe. Daraus können die Naumburger viel machen: für sich, ihre schöne Stadt und all die Gäste, die kommen werden. www.naumburger-strassenbahn.de

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