Signature Dishes

Das Avocadobrot als Ikone einer Ära?

(c) Illustrationen: Adriano Rampazzo/Phaidon
  • Drucken

Signature Dishes sind manchmal überraschend alt – wer weiß schon, dass California Rolls aus den 1960ern stammen?

Hätte es Instagram im Jahr 1733 schon gegeben, wäre ein Gericht ganz sicher ein Like-Bringer gewesen: das Mille-feuille, abwechselnd mit Creme geschichteter Knusperteig. Auch das Gargouillou, ein deutlich später, nämlich in den 1980ern, vom Sternekoch Michel Bras erfundenes Gericht aus möglichst pur belassenen und einzeln gegarten Gemüsen aus dem Garten, hätte es zu noch mehr Berühmtheit gebracht, wäre es im Zeitalter von Social Media zur Welt gekommen. So hat sich das Gargouillou „nur" unter Köchen und eingeweihten Essern einen Namen gemacht, als ein Gericht, das die derzeitige Strömung „Das pure Produkt sprechen lassen" vorweggenommen hat.

Maßgebliche, über ihre Entstehungszeit hinaus gültige Gerichte wie diese versammelt ein illustrierter Band, der von einer Gruppe internationaler Essensversteher kuratiert wurde. Der im Vorjahr verstorbene Paul Bocuse etwa kommt darin gleich mit zwei Gerichten vor: Rotbarbe mit knusprigen Erdäpfelschuppen und Trüffelsuppe mit Blätterteighaube. Der österreichische Hollywood-Koch Wolfgang Puck ist mit seiner Pizza mit Räucherlachs und Kaviar aus den Achtzigern vertreten.

Die Recherche hinter diesem Buch muss aufwendig gewesen sein, die Entstehungsgeschichte von Speisen zurückzuverfolgen ist schließlich angesichts unzähliger Kopien oft nicht leicht. Ältere Klassiker wie Pfirsich Melba, dieses von Auguste Escoffier erfundene Dessert zu Ehren der Opernsängern Nellie Melba aus dem 19.  Jahrhundert, sind ebenso angeführt wie Gerichte aus dem Heute – die, und das vermag tatsächlich zu überraschen, oft viel älter sind als gedacht. Wer hätte etwa vermutet, dass die California Maki, heute in jedem Supermarkt zu finden, aus den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stammen? Ein gewisser frisch aus Japan in die USA ausgewanderter Ichiro Mashita habe rohen Thunfisch, der im Unterschied zu grau gegarter Dosenware nicht aufzutreiben war, durch die ähnlich fette und in Kalifornien allgegenwärtige Avocado ersetzt und die Reisschicht der Maki nach außen verlegt. Von Kalifornien wanderten diese Rollen dann retour nach Japan.

Auswirkungen des Internet. Die Avocado bestimmt auch ein anderes Signature Dish, das älter ist, als man glauben würde: den Avocadotoast. Dieser Snack war, zumindest bis die fette grüne Frucht wegen ihrer Anbaubedingungen im Vorjahr unter übler Nachrede zu leiden begann, ein Instagram-Star. Dabei etablierte sich der Avocadotoast schon Anfang der Neunziger in Australien. Bloß: Ohne die sozialen Medien erfuhr man eben nicht so leicht davon wie heute.

Auf die Rolle von Signature Dishes – österreichische Beispiele aus der gehobenen Gastronomie sind etwa Lisl Wagner-Bachers Kaviar-Ei, Heinz Reitbauers Saibling in Bienenwachs oder Christian Domschitz’ Hummer-Szegediner – hat das Internet unterschiedliche Auswirkungen: Köche, die von anderen „abschreiben", Gerichte kopieren, sind heute leichter zu überführen. Es wird aber eben viel mehr kopiert als früher – Vorbilder sind auf Instagram jederzeit nahezu unbegrenzt verfügbar.

(c) Beigestellt

Tipp

Gerichte mit Gewicht. „Signature Dishes That Matter", mit Illustrationen von Adriano Rampazzo, erschienen bei Phaidon (bisher nur auf Englisch).

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.